Berlin, Tempodrom, mehr als tausend Gäste. Der erste Auftritt von Nio hat einen starken Eindruck hinterlassen. In der Arena, wo sonst Showstars wie Cro oder die Beach Boys auftreten, präsentierte der E-Autohersteller aus China seine ersten drei Modelle für den deutschen Markt – mit bunten, munteren und offensiven Attitüden. Die dauerstrahlenden Protagonisten von Nio versuchten mit dem Sound des Silicon Valley zu punkten. Flexibilität ist das neue Premium – so lautete die Botschaft. Ihre Elektroautos sind vorerst nur im Abo erhältlich.
Nio ist einer von mehreren chinesischen Herstellern, die vehement auf den europäischen Markt drängen. In dieser Phase, da viele elektrische Modelle in Europa aufgrund der anhaltenden Knappheit an Chips und anderen Bauteilen nur mit langer Wartezeit erhältlich sind, versuchen die Produzenten aus Fernost mit günstigen Alternativen zu punkten. Die Palette reicht vom vollelektrischen Kleinwagen über den SUV der Mittelklasse bis in den Bereich der sportlichen Limousinen. Wie das Beispiel Nio zeigt, geht es hier jedoch keineswegs nur um Billigmodelle. Nio greift im Premiumsegment an. Kann der E-Autobauer halten, was seine höchst attraktiv anmutenden Modelle versprechen, tritt er prompt in Konkurrenz mit den Platzhirschen aus München, Stuttgart und Ingolstadt.
Der Milliardär will mehr
Dieser Mann fährt auf der Erfolgsspur. William Li (48), Milliardär und Gründer von Nio, möchte die Welt der Elektroautos revolutionieren. In Fachkreisen wird er als Elon Musk aus China bezeichnet oder mit dem legendären Apple-Gründer Steve Jobs verglichen. „Beides ist falsch“, sagte Li zuletzt in einem Interview mit der Bild-Zeitung: „Ich kannte Tesla nicht, als ich 2012 Nio gründete. Ich wollte allein schon deshalb kein chinesisches Tesla erfinden. Ich fand und finde heute noch, das die Art, wie Hersteller und Händler ihre Kunden behandeln, nicht richtig ist, dass man es besser machen kann – auch mit besseren Produkten, mit mehr Wertschätzung. Das wollte ich beweisen.“ Der zweite Grund sei die Luftverschmutzung gewesen. Er habe auch seinen Kindern zuliebe Autos bauen wollen, die emissionsfrei sind. Sein Unternehmen betrachtet er freiweg als „sehr europäisch.“
Präsentation im Herzen Europas
Ein Woche nach Nio ließ es BYD in Paris krachen. Der chinesische Hersteller, bereits seit 1995 mit der Produktion von wiederaufladbaren Autobatterien beschäftigt und einer der größten Produzenten von Elektrofahrzeugen weltweit, wählte einen der zentralen Plätze Europas, mitten in der französischen Metropole, am Prachtboulevard Champs-Élysées, nur wenige Schritte von der Residenz des französischen Premiers Emmanuel Macron entfernt. Einige Tage zuvor war bekannt geworden, dass BYD eine umfassende Partnerschaft mit Sixt vereinbart hat. Die Chinesen werden in den nächsten Jahren sage und schreibe 100.000 Elektrofahrzeuge an den deutschen Autovermieter liefern, was die europäische Konkurrenz schmerzen dürfte.
BYD präsentierte in Paris ebenfalls drei pfiffige E-Modelle, die zeitnah in Europa erhältlich sind. Hier wird die Handschrift des Chefdesigners Wolfgang Egger erkennbar, den das chinesische Unternehmen von Audi abgeworben hat. Er wirkte einst am Gesicht des Ingolstädter e-tron mit, jetzt soll er den frischen Auftritt von BYD prägen.
Plug-in-Hybrid von Great Wall
Bereits auf der IAA Mobility vergangenes Jahr in München haute die chinesische Premiummarke Great Wall auf die Pauke und enthüllte das Modell mit dem außergewöhnlichen Namen: Wey Coffee 01. Dieser Plug-in-Hybrid-SUV soll sich in der oberen Mittelklasse etablieren, die derzeit von den Herstellern rund um den Globus hart umkämpft wird. Klarer Wettbewerbsvorteil des Wey Coffee 01: Seine rein elektrische Reichweite beträgt 150 Kilometer mit nur einer Ladung der 41-kWh-Batterie, damit hängt er die Konkurrenz deutlich ab.
Kurz vor dem Marktstart steht auch das zweite Angebot aus dem Hause Great Wall, der Ora Cat. Dieses kompakte E-Auto soll rund 30.000 Euro kosten. Seine technischen Daten klingen nach mehr: 400 Kilometer Reichweite soll der Ora Cat aus der großen 63-kWh-Batterie saugen, es gibt auch eine kleinere Version. Stark klingt die serienmäßige Ausstattung mit Parksensoren, 20,5-Zoll-Touchscreen und Radarsystemen für intelligente Fahrassistenten, die normalerweise nur in den höheren Preiskategorien angeboten werden.
„Die anderen reden, wir fahren“, sagte Alexander Klose, Executive Vice President und Europa-Chef von Aiways, bereits vor einem Jahr im Interview mit electricar. Der Produzent aus Schanghai hatte seinerzeit gerade sein Premierenmodell U5 erfolgreich in den Markt eingeführt. Nun steht der Nachfolger U6 an der Startlinie. Das vollelektrische SUV-Coupé hat gerade die letzten Testfahrten in Europa absolviert. Der neue Aiways basiert auf der Plattform des U5, präsentiert sich inhaltlich und technisch jedoch optimiert.
E-Limousine mit Flügeltüren
Zwei Modelle hat der Hersteller Xiaopeng Motors bereits in Norwegen am Start. Der Kompakt-SUV Xpeng G3 wird dort für umgerechnet höchst attraktive 34.000 Euro angeboten. Dafür gibt es den Elektroantrieb mit 145 kW (197 PS) und die 66,5 Kilowattstunden starke Batterie. Stichwort Sicherheit: Auch bei den Crashtests schnitt der G3 gut ab. Spätestens im Sommer soll er auch in den mitteleuropäischen Ländern erhältlich sein. Der zweite Xpeng, der schon auf den norwegischen Straßen verkehrt, ist der P7. Diese sportliche Elektrolimousine bietet Allradantrieb, die Leistung von 320 kW
(435 PS), auf Wunsch auch Flügeltüren und kostet in der Grundversion 46.000 Euro.
Der Lynk & Co 01 fährt schon seit geraumer Zeit auf den Straßen Europas, jetzt steht das zweite Modell des chinesischen Herstellers Geely vor dem Marktstart: Der Zeekr 001, der in Asien unter dem Namen Lynk Zero Concept debütierte. Er ist das erste Fahrzeug, das auf der SEA-Plattform gebaut wird, auf der auch der neue Smart #1 basiert. Der Zeekr 001 muss mit dem Ruf leben, als Klon des Porsche Panamera geschaffen worden zu sein. In China sind bereits mehr als 20.000 Exemplare des flotten Flitzers unterwegs. In der Grundversion kostet der Zeekr 001 attraktive 39.000 Euro, die stolze Reichweite von mehr als 700 Kilometer ist im Preis enthalten.
Kampf um die Marktanteile
Der große Aufwand der chinesischen Hersteller von Elektrofahrzeugen scheint sich auszuzahlen. Laut einer Studie des Think Tanks Transport & Environment (T&E) sind sie in diesem Jahr bereits für fünf Prozent aller rein batteriegetriebenen E-Autos verantwortlich. Gemessen an den aktuellen Trends könnten die Produzenten aus Fernost bis zum Jahr 2025 sogar einen Anteil von neun bis 18 Prozent am europäischen Markt für Elektroautos erobern. Die T&E-Experten warnen davor, dass die europäische Autoindustrie immer mehr Marktanteile verlieren werde, sollte sie die Transformation zur E-Mobilität zu träge vollziehen. „Autohersteller aus China und den USA bringen immer mehr neue und günstigere Elektromodelle auf den Markt, während europäische Hersteller ihr Portfolio nicht schnell genug erweitern“, sagte Friederike Piper, die Referentin für Elektromobilität bei T&E. „Wenn die europäische Autoindustrie wettbewerbsfähig bleiben soll, muss die EU eine starke Industriepolitik betreiben, die mit den aktuellen Fördermaßnahmen für E-Autos in China und den USA mithalten kann. In Europa werden nicht nur das Klima, sondern auch die Arbeitsplätze in der heimischen Autoindustrie bedroht.“
Der Marktanteil vollelektrischer Pkw-Neuwagen lag in China in der ersten Hälfte dieses Jahres bei 18 Prozent, in den USA wuchs der Anteil neuer E-Autos gar um 50 Prozent. Dagegen schaffen es die Hersteller in Europa derzeit kaum, die Nachfrage nach Stromern zu bedienen. Die Wartezeiten sind länger als in Fernost und Amerika, die Zulassungen von Elektroautos stagnieren – und die Anbieter von den anderen Kontinenten profitieren.
Alternative made in Austria
Die Vorlaufzeit war ausgedehnt, doch jetzt steht der Produktionsstart des Fisker Ocean unmittelbar bevor. Allen Widrigkeiten in den Lieferketten zum Trotz sollen die ersten Fahrzeuge der First Edition gebaut werden. Der von dem Auftragsfertiger Magna in Graz hergestellte Elektro-SUV ist bereits in vier Versionen zu den Einstiegspreisen von 41.500 bis 69.950 Euro konfigurierbar. Ein Solardach soll nach Angaben des Herstellers zusätzlich bis zu 3.000 Kilometer Reichweite pro Jahr generieren. Der Fisker Ocean bietet reichlich Platz im Innenraum, unter anderem auch ein schwenkbares Zentraldisplay, das flexibel genutzt werden kann. Zudem werden für die Verkleidungen und die Sitze diverse Recycling-Materialien verwendet.
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