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AutorenbildChristoph Lumetzberger

Elektroautos sind nichts für längere Fahrten? Unser Selbstversuch beweist das Gegenteil

Seit die Elektromobilität vor einigen Jahren salonfähig wurde, gibt es sie gleichermaßen: Befürworter und Gegner dieser zukunftsträchtigen Antriebsform. Sicherlich gibt es in beide Richtungen Argumente, die dafür und dagegen sprechen, allerdings schaffen es viele nicht, einen konstruktiven Diskurs darüber zu führen, sondern verstricken sich gerne in wirren Argumentationen und kramen die unterschiedlichsten Behauptungen hervor, teilweise ohne jeglicher Substanz.


Der Hauptvorwurf, der der E-Mobilität gerne gemacht wird, ist die Reichweitenthematik. Und dieses Argument, speziell wenn ein modernes Elektroauto mit einem Verbrenner verglichen wird, kann auch nicht zu einhundert Prozent entkräftet werden, da der heutige Stand der Technik einfach noch keine 800 Kilometer mit einer Ladung hergibt. Allerdings sollte das auch gar nicht das fundamentale Ziel sein. Denn wer das Betanken eines Verbrenners mit dem Befüllen eines E-Autos gleichsetzt, der begeht eine kapitale Fehleinschätzung. Während das Einfüllen fossiler Kraftstoffe in moderne Diesel- oder Benzinautos lediglich dann nötig wird, wenn die Tanknadel dem roten Bereich entgegenwandert, so sollte bei einem E-Auto in Erwägung gezogen werden, dieses immer dann an die Steckdose zu geben, sobald es nicht benutzt wird.


Der Praxistest

Aber manchmal ist das eben einfach nicht möglich. Etwa dann, wenn Sie sich auf Reisen befinden und das Auto mehr läuft als es herumsteht. Oder wenn Sie in einer Unterkunft partout keine Ladegelegenheit vorfinden. Aus eben diesem Grund hat unser Redakteur Christoph Lumetzberger einen Selbstversuch unternommen und binnen weniger Tage beruflich und privat gleich mehrere, längere Fahrten mit einem Testwagen, einem Polestar 2

Long Range Single Motor (WLTP-Reichweite: 540 Kilometer), unternommen. Die Strecken führten über Landesgrenzen, in dicht besiedelte Innenstädte und auf Landstraßen, wo Ladesäulen in etwa so selten sind wie freie Fahrt zur Rush Hour.

Mit etwas Planung kann ein E-Auto problemlos einen Verbrenner ersetzen.


Erste Etappe: Vom niederösterreichischen St. Valentin zu einem Termin nach München. Der Routenplaner spuckte vor Anbeginn der Fahrt über die österreichische A1 und A8 sowie die in Bayern gelegene A94 exakt 250 Kilometer aus. Der Akku wurde aus diesem Grund vor Fahrtantritt noch auf 90 Prozent befüllt und bei rund 20 Prozent Restkapazität sollten wir am Ziel ankommen. Rund vier Stunden vor dem Termin gings los. Zeitlich sollte die Strecke in knapp unter drei Stunden bewältigt werden können, somit wäre theoretisch noch Zeit für einen Zwischenhalt.

Stärkung

Der Polestar 2 und unser Redakteur beim Volltanken vor Fahrtantritt im niederösterreichischen St. Valentin.


Grenzgänger

Nach rund einem Drittel der Distanz verlässt man in Österreich die Autobahn, um über Landstraßen in Richtung Grenze unterwegs zu sein. Genau das ist die Zeit, auf die sich die ob der Autobahnkilometer bereits ziemlich gebeutelte Batterie gefreut hat. Rekuperieren bei Geschwindigkeiten zwischen 80 und 90 km/h im angenehmen Überlandverkehr, das spart nicht nur Energie sondern gibt, zwar im überschaubaren Bereich aber doch, sogar einen kleinen Teil davon wieder zurück in den Energiespeicher. War die prognostizierte Restfüllmenge des Akkus bei Ankunft am Ziel zwischenzeitlich sogar in den einstelligen Bereich gerutscht, so bewegt sich diese bei der Auffahrt auf die A94 bei rund 20 Prozent. Und da wir auf der Uhr noch genügend Zeit hatten, um rechtzeitig in München anzukommen, nahmen wir trotz nicht vorhandenem Tempolimit etwas den Schwung heraus und rollten gemächlich mit rund 120 km/h in Richtung München.


Insgesamt kostete uns das reduzierte Tempo, welches wir auf knapp 120 Kilometern wählten, nur wenige Minuten an Zeit - die wir ohnehin sonst mit Warten verbracht hätten. Für das gemütliche Fahren wurden wir bei der Ankunft sogar mit einem satten Plus auf der Akkuanzeige belohnt. Ganze 32 Prozent Restkapazität hatten wir noch auf der Uhr, als wir die Münchner Innenstadt erreichten. Da wir uns einen Stopp erspart haben und der Verkehr uns auch keinen Strich durch die Rechnung gemacht hat, waren wir dennoch rund 40 Minuten vor dem Termin am Ziel.



Knappe Angelegenheit: Der Bordcomputer informiert über die geplante Fahrtdauer und die Restkapazität bei Zielankunft. Bei einem Prozent blieben wir lieber noch etwas an der Säule.

Später am Nachmittag traf sich unser Autor noch mit einem Geschäftspartner, am Abend gings dann für beide in die Allianz Arena zum Fußball. Zu später Stunde wurde dann die Heimreise angetreten, diesmal allerdings nicht über die A94. In Ermangelung von kraftvollen Schnellladern entlang der kilometertechnisch kürzesten Strecke nach Österreich, wurde die Verbindung über die A92 und die A3 auserkoren. Rund 70 Kilometer weiter, aber durchgängig Autobahn. In dunkler Nacht und zu später Stunde die angenehmere Alternative zum Freilandstraßenverkehr im Grenzgebiet.

Bei der Abfahrt aus dem Münchner Stadtzentrum wurde noch an einem Schnelllader an einer Tankstelle kurz Halt gemacht, da sich beim Stadion leider keine Lademöglichkeit als echte Option ergeben hat. Nach wenigen Minuten war die 50 Prozent-Marke erreicht, die mit dem geplanten Ladestopp in Landshut gut zusammenpasste. Da nur ganz wenige Fahrzeuge auf der A92 unterwegs waren, konnte die ganze Kraft des Polestar 2 ausgeschöpft werden. Mit Tempo 160 flogen wir über die Beton- und Asphaltdecke, der Wagen lag wie ein Brett auf der Fahrbahn und auch weit nach Mitternacht machte die Fahrt dennoch Spaß. Da 160 km/h jedoch einen Raubbau für jeden E-Auto-Akku darstellen, wanderte die Anzeige schneller in Richtung Null als uns lieb war. Dennoch legten wir die rund 70 Kilometer problemlos zurück, mit etwas mehr als 20 Prozent kamen wir in Landshut an.

Gemütlich dem Ziel entgegen

Da noch genügend Zeit auf der Uhr stand, nahmen wir etwas den Fuß vom Strompedal und genossen nicht nur den Ausblick, sondern auch die Zahl beim Batteriesymbol, welche uns Sparsamkeit attestierte.


Wo Welten aufeinander treffen

Dort bot sich uns ein Schauspiel, welches wir mit leichtem Schmunzeln zur Kenntnis nahmen. Während unser Polestar einen kräftigen Schluck am 150 kW-Schnelllader nahm und wir uns, inzwischen ein Uhr in der Früh, mit einem Kaffee wach hielten, lauschten wir einer Diskussion eines auf der Durchreise befindlichen, älteren Ehepaares, welches an der direkt nebenan gelegenen Tanksäule den Zwei-Tonnen-SUV offensichtlich gerade um weitaus mehr als 100 Euro vollgetankt hatte. Der Herr schimpfte auf die tatenlos zusehende Politik, die Frau über Russlands angriffslustigen Präsidenten Putin, der die Situation an den Zapfsäulen noch verschlimmere. Dann fuhren sie genervt ab.

Nach rund einer halben Stunde Standzeit setzten auch wir unsere Fahrt mit 85 Prozent Akkukapazität fort und eigneten sich wieder den etwas gemütlicheren Fahrstil an. Somit hatten wir auch kein Problem, die restlichen 240 Kilometer über Deggendorf, Passau und Ried im Innkreis in einem Stück zurückzulegen. Bei angenehmer Fahrt und rund 130 km/h im Durchschnitt trafen wir etwa zwei Stunden nach Abfahrt in Landshut zu Hause, im beschaulichen Pregarten, ein. Die Anzeige bescheinigte dem Wagen zwar nur noch eine Restkapazität von knapp 15 Prozent, da am nächsten Tag jedoch sonniges Wetter vorhergesagt wurde und unser Autor einen freien Tag hatte, wurde die hauseigene Photovoltaikanlage dazu genutzt, an besagtem Tag den Wagen wieder beinahe vollständig aufzuladen. Dank Zeitschaltuhr startete der Ladevorgang um 8:00 Uhr, rund zehn Stunden später hatte der Wagen wieder die als optimal eingestufte Kapazität von rund 80 Prozent.


Perfektes Timing für den nächsten Arbeitstag, denn ein Termin in Salzburg stand auf dem Programm. Da Fahrtzeit und -strecke nur in etwa halb so lang sind wie zwei Tage zuvor nach München, wollen wir Ihnen hier nicht mehr im Detail exerzieren, wie die Fahrt vonstatten ging. Beim Start in St. Valentin und 80 Prozent Kapazität hatten wir überhaupt keine Schwierigkeiten, bis nach Salzburg zu gelangen. Gerade einmal 140 Kilometer beträgt die Strecke, unser Ziel erreichten wir mit etwa 40 Prozent Restkapazität. Nach erfolgreich erledigtem Termin begannen wir die Rückfahrt, um sie nur rund 30 Kilometer gleich wieder zu unterbrechen. Denn an der Raststation Mondsee wurde uns vom Bordcomputer ein Zwischenstopp empfohlen, den wir ob der Tatsache, noch nichts zu Mittag gegessen zu haben, auch gerne einlegten.

Während wir uns verköstigten, bekam auch der Polestar 2 seine Leibspeise in Form von 100 Prozent Ökostrom an der Schnellladesäule. Nach rund 50 Minuten waren wir mit Essen fertig, der Wagen hatte bereits - wie in den Einstellungen festgelegt - bei 90 Prozent die Ladung gestoppt und war abfahrbereit.


Die restlichen 110 Kilometer bis nach Hause legten wir in angenehmer Fahrt zurück, da sich der Nachmittagsverkehr intensivierte und wir uns auch nicht übermäßig stressen wollten. Mit mehr als 60 Prozent Restreichweite kamen wir entspannt zu Hause an und da die Sonne noch am Himmel stand, hängten wir den Polestar 2 gleich wieder an die Steckdose.


Unser Fazit

Zwei Dinge sollten Sie sich überlegen, wenn Sie planen, sich einen elektrischen, fahrbaren Untersatz zuzulegen. Fahrten von A nach B in Rekordtempo gehen zu Lasten der Batteriekapazität und den Fehler, Laden mit Tanken gleichzusetzen, sollten Sie vermeiden. Dann ist es problemlos möglich, mit etwas Planung und Vorausschau ein Elektroauto als echte Alternative zum Verbrenner in Ihren beruflichen, als auch privaten Alltag zu integrieren. Vorausgesetzt jedoch, Sie haben zu Hause eine Lademöglichkeit.


Dass sich global gesehen etwas an unserer Art der Fortbewegung ändern muss, ist uns wohl allen mehr oder weniger bewusst. Wenn wir uns jedoch die individuelle Mobilität in einem möglichst erschwinglichen Rahmen erhalten wollen, dann sollten wir mit dem Ändern besser heute als morgen anfangen.

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