Wann immer Sie denken, es geht nicht mehr schlimmer, ziehen die Protagonisten der deutschen Verkehrspolitik mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch ein Ass aus dem Ärmel …
„Ich habe Vertrauen entwickelt in die Elektromobilität“, sagte Volker Wissing, der Bundesverkehrsminister, allen Ernstes zu Beginn der Sommerferien auf der hauseigenen Ladeinfrastruktur-Konferenz in Berlin. Der FDP-Mann fährt seit neuestem, 15 Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen, tatsächlich voll elektrisch und nicht mit den von ihm zuletzt so stark propagierten E-Fuels. Zudem lässt sich Wissing unter einem Solardach an einer deutschen Autobahn PR-seitig fotografieren, um zu dokumentieren: Ja, wir haben verstanden.
Dabei sind die Welten, die zwischen Elektromobilität und der deutschen Politik liegen, so groß, wie die Differenz der Investitionen von China und Deutschland. Rund 66 Milliarden US-Dollar hat das große Reich der Mitte laut dem Zentrum für strategische und internationale Studien zwischen 2018 und 2021 in die Elektromobilität investiert. Zum Vergleich: Der deutsche Staat hat für die Förderung von Elektroautos von 2016 bis 2021 etwa 4,6 Milliarden Euro gezahlt.
Und dennoch erleben wir Innovationen und Power in und von deutschen Neumacher-Unternehmen. Die Fachmesse Power2Drive in München war ein Ort voller (Solar-) Energie sowie frischer Konzepte und Geschäftsmodelle. Technisch haben wir alles, um die Mobilitäts- und Energiewende kraftvoll anzupacken. Quasi ein Oktoberfest für die große Transformation!
Doch dann schauen sie wieder in Richtung Berlin und zu den dort ansässigen Politikvirtuosen – und erfahren, dass das letzte funktionierende Förderinstrument für den Kauf von Elektroautos, der THG-Handel, für das laufende Jahr um sechs Arbeitswochen sabotiert worden ist. Ein neuer Kabinettsbeschluss sieht das Handelsende bereits für Mitte November vor, weil sich die zuständige Behörde offenbar nicht in der Lage sieht, ihr Arbeitsvolumen im vorgegebenen Zeitrahmen zu bewältigen. Der Handelsplatz wird mit Excel-Listen und E-Mail-Austausch koordiniert, da kann man auch schon mal die Öffnungszeiten um 50 Millionen nichtgehandelte Zertifikate verkürzen … unfassbar!
Ich, ganz persönlich, würde auch gern wieder intensives Vertrauen entwickeln – in den behördlichen Sachverstand.
Hier schreibt der Präsident

Kurt Sigl, der Präsident des Bundesverbands eMobilität (BEM; bem-ev.de), schickt für jede Ausgabe von electricar eine E-Mail aus Berlin, in der er aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Themen seiner Branche analysiert und kommentiert. Er gilt als Leitfigur auf den Gebieten der Elektromobilität und der erneuerbaren Energien. Der kernige Oberbayer, einst im Dienst von Audi, punktet mit seiner über Jahrzehnte ausgeprägten Expertise – und als begnadeter Netzwerker. Mit Nachdruck arbeitet er daran, traditionelle Strukturen und Denkmuster zu hinterfragen, um Raum für neue und zukunftsfähige Modelle zu schaffen. Den BEM betrachtet er als ideale Plattform, die alle relevanten Akteure im Bereich der E-Mobilität schnell und effizient zusammenbringen kann.