Das war Kino im Format der Großleinwand, was uns in Berlin in diesem Sommer geboten worden ist. Ein Politkrimi, der sich zu Beginn der Ferienzeit vor unseren Augen abspielte. In ungewöhnlicher Weise schaltete Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) offen auf Dissens mit seiner Amtskollegin, Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Das Parlament der Europäischen Union hatte in Brüssel das Verbot von Verbrennerfahrzeugen ab 2035 beschlossen und der EU-Umweltministerrat sollte dem zustimmen.
Nach Tagen verwirrender Vorschläge aus dem FDP-geführten Verkehrsministerium meldete sich also Finanz-Lindner und stellte sich gegen das Verbrennerverbot und warb um Offenheit bei den alternativen Antriebstechnologien. Steffi Lemke blieb hart, stimmte dem EU-Beschluss zu – und Lindner machte weiter Verkehrspolitik und sprach sich just gegen die im Koalitionsvertrag festgehaltene Förderung von Elektroautos aus.
Keinen Monat später folgte der nächste Aufreger: Unvermittelt wird VW-Chef Herbert Diess entlassen. Der Aufsichtsrat beendet die Tätigkeit des Reformers, der Deutschlands größten Autokonzern in das Zeitalter der Elektromobilität bugsiert hat. Ein Paukenschlag, immerhin befand sich Diess zu diesem Zeitpunkt mit Vorstandskollegen in den USA und hatte der Belegschaft noch einen Feriengruß geschickt. Es schien, als wisse er von nichts.
Doch ein Knalleffekt kam noch obendrauf. Der VW-Aufsichtsrat erklärte Porsche-Chef Oliver Blume zum neuen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG. Jener Blume, der sich im Kreis der Mitarbeiter nur wenige Tage zuvor seines engen Kontaktes zu Lindner gerühmt hatte – speziell in Fragen zur Technologie-Offenheit und E-Fuel, an denen Porsche unternehmerisch großes Interesse hat.
Natürlich versuchte Porsche den Verdacht der Einflussnahme zu zerstreuen. Dummerweise wurden weitere Details bekannt, wonach wiederum Lindner den Kontakt zu Blume gesucht hatte – genau am Sitzungstag des EU-Umweltministerrats. Per SMS hatte der Finanzminister den Porsche-Chef um „argumentative Unterstützung“ in der Debatte um synthetische Kraftstoffe gebeten. Ein beispielloser Vorgang. Die einhellige Übersetzung von FDP heißt in den einschlägigen Foren seither: Fahr Doch Porsche.
Das Finale der Kinowochen bildet der Kabinettsbeschluss zum vorläufigen Ende der Förderung von E-Autos in Deutschland. Der Umweltbonus soll mit 2,5 Milliarden Euro gedeckelt werden. Nach Berechnungen des Bundesverbands eMobilität (BEM) kommt die Förderung damit zum Erliegen, da derzeit rund 450.000 Käufer darauf warten, dass ihre E-Autos geliefert und die Prämien ausgezahlt werden, was den Staatstopf gänzlich leert. Es blieb eine Randnotiz, dass die Regierung zuvor in drei Monaten neun Milliarden Euro für die ökologisch absolut sinnfreie Spritbreisbremse ausgegeben hatte. Der Politkrimi endet mit der Tatsache, dass dieses Aus der E-Förderung mit der Haushaltsdisziplin begründet wurde – durch ihren Chefaufseher, Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Hier schreibt der Präsident
Kurt Sigl, der Präsident des Bundesverbands eMobilität (BEM), schickt für jede Ausgabe von electricar eine E-Mail aus Berlin, in der er aktuelle politische, wirtschaftliche und soziale Themen seiner Branche analysiert und kommentiert. Er gilt als Leitfigur auf den Gebieten der Elektromobilität und der erneuerbaren Energien. Der kernige Oberbayer, einst im Dienst von Audi, punktet mit seiner über Jahrzehnte ausgeprägten Expertise – und als begnadeter Netzwerker. Mit Nachdruck arbeitet er daran, traditionelle Strukturen und Denkmuster zu hinterfragen, um Raum für neue und zukunftsfähige Modelle zu schaffen. Den BEM betrachtet er als ideale Plattform, die alle relevanten Akteure im Bereich der E-Mobilität schnell und effizient zusammenbringen kann.
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