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  • AutorenbildArmin Grasmuck

Microlino im ELECTRICAR-Praxistest

Jetzt mal ganz unter uns: Es gibt schönere Rahmen für Testfahrten, als diesen grauen, nasskalten Tag mit Temperaturen um den Gefrierpunkt samt dauerprasselndem Regen und entsprechend verdichtetem Stadtverkehr. Andererseits: Es ist die perfekte Gelegenheit für den Microlino zu zeigen, was er kann.


Oh, Microlino! Diese kleine Knutschkugel sieht so zuckersüß aus, wie ihr Name klingt. Auf der IAA Mobility im Herbst 2021, als der Kleinstwagen in der Ecke in einer Messehalle, nahe dem Ausgang präsentiert wurde, avancierte er auf Anhieb zum Publikumsliebling. Ach, wie schnuckelig! Und wow, die Tür geht nach vorne auf! Die Messegäste standen in Schlangen, nur um einmal zur Probe sitzen zu dürfen. Einige wären am liebsten gleich hocken geblieben.

Startklar electricar-Chefredakteur Armin Grasmuck hatte in München die Gelegenheit, den Microlino zu testen.

Leichtes Elektromobil


Ist es die Ironie des Schicksals, dass der Microlino gut ein Jahr nach dem strahlenden Debüt auf dem Münchner Messegelände genau dort für uns zur Testfahrt bereitsteht? Ein Wink mit dem Zaunpfahl? Nach dem Motto: Was gut war, kommt wieder. Der Regen? Uns doch egal. Wir wollen Microlino fahren. Also auf die Tür – und rein in das Gefährt.


An dieser Stelle sei kurz und eindringlich darauf hingewiesen: Der Microlino gehört zu der noch relativ seltenen Fahrzeugklasse L7e der leichten Elektromobile. In der Praxis heißt das: Vier Räder, ja. Lenkrad, ja. Strompedal und Bremse, ja. Sicherheitsgurte, ja. Airbag, nein.


Inspiriert von einem Klassiker


Also noch einmal: auf die Tür. Die Tür? Die Tür! Ja, das hatten wir schon einmal. Die Vertreter der reiferen Jahrgänge werden sich beim Anblick des Microlino selbstverständlich sofort an die Isetta aus dem Hause BMW erinnern, die in den 50er-Jahren für Furore sorgte. Klein und rund, die Tür an der Front. Platz für zwei Personen. Es sind damals wie heute die Kernfakten des ultimativen Kleinmobils. Die Schweizer Familie Ouboter, die in ihrer Firma Microlino AG das neue Fahrzeug entwickelt hat und produziert, gibt offen zu, dass sie sich von dem Klassiker des vergangenen Jahrhunderts inspirieren ließ. Es war die Vision der Ouboters, den Retrocharme in die Mobilität der Zukunft zu transformieren.


Der ungewohnte Akt des Einsteigens gelingt leicht und locker. Fühlt sich gut an. Auf den ersten Blick ist deutlich zu erkennen, dass der Innenraum des ­Microlino mit viel Liebe gestaltet wurde und bei aller Reduziertheit auch Materialien und Komfortelemente anbietet, die in der Klasse der Leichtgewichte einzigartig sind. Allein diese Sitze. Wer sich auf ihnen niederlässt und die Tür an dem schicken Ledergurt zuzieht, fühlt sich beinahe wie zuhause auf dem Sofa. Angenehmes Veloursleder fast überall. Gemütlich, angenehm und irgendwie entspannend. Vielleicht liegt es auch an der großzügigen Beinfreiheit, die in diesem smarten Minimobil kaum zu erwarten war.

Fit für den Alltag - Überraschend voluminös: Der Kofferraum bietet stolze 230 Liter zum Transportieren.

Navigation aus dem Telefon


Über dem Lenkrad ist ein kleiner Bildschirm montiert, auf dem unter anderem der Fahrmodus, die Geschwindigkeit und der Akkufüllstand in Prozent angezeigt werden. Auf der Mittelarmatur gibt es zudem einen kleinen Touchscreen, über den Gebläse sowie die Fahrzeug- und Scheibenheizungen zu steuern sind. Navigation? Gerne, jedoch nur aus dem eigenen Smartphone. Der entsprechende Halter und die USB-Ladebuchse sind in der Wagenmitte installiert.


Wir drehen den Schlüssel zum Start um. Der Antrieb wird über einen Drehregler in der linken Armlehne gesteuert. R(etour), N(eutral) und D(rive) – so einfach geht‘s. In der Mitte des Reglers befindet sich zudem ein Druckknopf mit einer Rakete darauf, der das Schweizer E-Auto bei Bedarf noch spritziger machen soll. Und siehe da: Direkt unterhalb des Drehreglers ist ein Emblem aus Metall angebracht, auf dem eingraviert steht: pioneer series Nr. 001/999. Die Nummer eins aus der 999 Fahrzeuge umfassenden Pionier-Serie, mit welcher der Microlino in den Markt gestartet ist. Was für eine Ehre! Wir drehen den Regler auf D und fahren los.


Rollende Kontaktbörse


Huiii, da zischt er los. Das Fahrgeräusch des Microlino klingt wie ein energiegeladenes Pfeifen irgendwo zwischen S-Bahn und Privatjet. Wir verlassen das Messegelände in Richtung Vorstadt und merken schnell: Unsere Knutschkugel ist ein Hingucker, auf der Straße und daneben. Den Passanten, die dick eingepackt auf dem Gehsteig durch den Regen marschieren, zaubert der kleine Feine wie auch manchem motorisierten Verkehrsteilnehmer nachhaltige Strahler ins Gesicht. Daumen hoch, grins, tuscheltuschel. Der pfiffige Neustarter ist auch als rollende Kontaktbörse eine Klasse für sich.


Angetrieben wird der Microlino von einem im Heck montierten Elektromotor mit 13 Kilowatt (17 PS). Dem riesigen Lastwagen, der uns von hinten bedrohlich nahe kommt, scheinen wir eine Nummer zu klein zu sein. Wir verlassen das Stadtgebiet und treten gleich einmal das Strompedal. Lustig, der Microlino pfeift jetzt noch höher und schiebt sich ohne Ruckeln und Zuckeln souverän und stabil auf die Spitzengeschwindigkeit von 90 Stundenkilometer. Der Laster hat Mühe, uns zu folgen. Dabei haben wir noch nicht einmal die Rakete gezündet ...


90 km/h – es reicht locker für die Hüpfer von Vorort zu Vorort. Aschheim, Kirchheim, Poing, Parsdorf. Der Microlino fährt durch den Regen, das Gebläse läuft auf Hochtouren – je nach Bedarf mit voller Heizkraft oder ohne. Die Zwischenstufen haben sich die Entwickler gespart. Klar, wir fahren in einem elektrischen Kleinstwagen. Da fehlen aus ökonomischen und ökologischen Gründen auch das ESP oder die Sitzheizung. Je nach Version ist jedoch zumindest ein Schiebedach inkludiert.


Die Stadt ist sein Revier


Wir müssen es einfach tun! Das blaue Schild weist in Feldkirchen den Weg zur Autobahn – und wir folgen. Rauf auf die A 94 stadteinwärts. Die ganz rechte Spur, wir reihen uns hinter einem Kleinwagen italienischen Fabrikats ein. 80 km/h, wir halten reichlich Abstand, aus dem Starkregen wird ein Nieseln. Es läuft, doch ganz ehrlich: Der Microlino und die Autobahn, das wird keine Liebesgeschichte. Schon gar nicht, wenn der Himmel weint.


Nach ein paar Minuten erreichen wir die Stadtgrenze von München. Verkehrszeichen drosseln das Tempo und wir ziehen – kein Witz – auf der linken Spur an dem kleinen Italiener vorbei. Ein Überholmanöver auf der Autobahn. Mit dem Microlino. Es ist kein Qualitätsmerkmal, jedoch auch keine Unmöglichkeit. Wir rollen sanft, ruhiger und viel entspannter in die Innenstadt. Es ist angenehm zu spüren: Hier ist der Microlino in seinem Revier. Hier fährt er sich ganz anders, leicht und akzentuiert, weniger zwanghaft getrieben. Ampel rot. Ampel grün. Stop and go. Interessanterweise wirkt auch der Blick nach Parkgelegenheiten wie synchronisiert. Wo manch Überdimensionierter kaum seine Schnauze hineinbekommt, parkt der kleine Schweizer mustergültig. Wenn es denn sein muss, auch quer zur Straße.


Drei Akku-Varianten


Kurze Pause, die Zeit zum Rekapitulieren. Der Microlino, davon können wir ausgehen, wird in den nächsten Jahren ein Stammgast im Stadtverkehr werden. Klein, wendig, bequem – und vollelektrisch auf Zukunft getrimmt. Er ist in drei Akku-Varianten erhältlich, die jeweils im Boden direkt unter der Sitzbank verbaut sind. Die größte Batterie fasst bis zu 14 Kilowattstunden Strom, der innerhalb von vier Stunden aus jeder Haushaltssteckdose oder an der öffentlichen Ladesäule über einen Typ-2-Stecker gezogen werden kann. Diese Höchstkapazität verspricht nach Angaben des Herstellers eine Reichweite von bis zu 230 Kilometern.


Der Einstiegspreis von knapp 15.000 Euro erscheint für ein Fahrzeug dieser Kategorie gewaltig. Auch weil der Kauf des Microlino in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa – über keinerlei staatliche Fördergelder subventioniert wird. Der Kleinstwagen bietet dafür ein attraktives Gesamtpaket, einzigartige Fahrerlebnisse – und einen Vorgeschmack auf die urbane Mobilität von morgen. Ach ja, die Rakete ... Auf dem Weg zurück zum Messegelände drücken wir den runden Knopf. Und tatsächlich: Der Microlino zündet, speziell im Antritt. Schön und gut, doch noch mal ganz unter uns: Die Knutschkugel knallt auch ohne Rakete.


Technische Daten

Hersteller

Microlino AG

Modell

Microlino 2.0

Antriebsart

Elektro

Leistung

13 kW / 17 PS

Maße / Gewicht

2.519 x 1.473 x 1.501 mm / ab 496 kg

Antriebsachse

Hinterrradantrieb

Anzahl der Türen

2

Kofferraum­volumen

230 l

Reichweite

91-230 km

0-50 km/h

5 Sekunden

Spitze

90 km/h

Preis

ab 14.990 €








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