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  • AutorenbildHarald Gutzelnig

Wie gefährlich der Touchscreen beim E-Auto werden kann - eine Analyse anhand des Tesla Model 3

Wer das erste Mal in einen Tesla einsteigt, der hält es nicht für möglich, dass man dieses Fahrzeug überhaupt bedienen kann – keine Instrumententafel mit Messanzeigern und Bedienungshebeln. Bis auf die Taste für die Scheibenwischanlage und den Warnblinker hat der US-Konzern aus Silicon Valley fast alle Funktionen in den zentralen Bildschirm auf der Mittelkonsole verlegt. Und den Warnblinker findet man auch nicht auf Anhieb. Da kann man schon mal ein wenig suchen, er befindet sich relativ gut versteckt am Dachhimmel.


Doch nicht nur Tesla hat die Tasten zur Bedienung eliminiert, fast alle modernen Fahrzeuge bieten zahlreiche Funktionen, die sich nur noch über das Display steuern lassen. Das Problem dabei: Bedienfunktionen, die nicht intuitiv, ohne hinzugucken – mit einem Tastendruck oder Reglerdreh – ausgeführt werden können, führen zwangsläufig dazu, dass der Fahrer das Verkehrsgeschehen aus dem Blick verliert. Das Suchen und Finden von Funktionen in Digital-Menüs und Untermenüs führt deshalb nicht selten zu gefährlich langer Ablenkung – wie der ADAC in einem Test mit sechs verschiedenen Fahrzeugen gezeigt hat.


24 Probanden, sechs Autos

Am Test, der gemeinsam mit Wissenschaftlern der Hochschule Augsburg entwickelt und durchgeführt wurde, nahmen 24 Probanden teil, die mit den Fahrzeugen nicht schon im Vorfeld vertraut waren. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase musste jeder Proband zwei Testfahrzeuge durch einen Parcours auf dem ADAC Testgelände fahren und währenddessen – bei einer konstanten Geschwindigkeit zwischen 40 und 50 km/h – verschiedene Bedienfunktionen ausführen. Die Tests konzentrierten sich auf alltägliche, häufig gebrauchte oder sicherheitsrelevante Bedienaufgaben, wie zum Beispiel das Abblendlicht einschalten, die Innentemperatur einstellen oder ein Navigationsziel eingeben.


Konkret wurden sechs populäre Fahrzeuge der Kompakt- und Mittelklasse, zwei mit Controller (BMW 1er, Mazda 3), eines mit Touchpad (Mercedes A-Klasse) und drei mit berührungssensitivem Bildschirm (Dacia Duster, VW Golf und Tesla Model 3). Fünf davon mit Verbrennungsmotor und eines mit Elektroantrieb. Wir interessieren uns in erster Linie für die Testergebnisse des Tesla Model 3.


So wurde getestet

Die Testaufgaben wurden in drei Bereiche unterteilt, die mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung in die Bewertung eingingen: sicherheitsrelevante Funktionen wurden mit 50 Prozent am stärksten gewichtet, Aufgaben zur Klimatisierung gingen mit 30 Prozent, Aufgaben zum Infotainment mit nur 20 Prozent ein. Sprach- oder Gestensteuerung sollten die Probanden nicht verwenden.


An Überraschungen im Ergebnis mangelt es nicht. Mazda 3 Testsieger („gut“, Tesla Model 3 Letzter („ausreichend“), Dacia Duster („gut“) besser als die Mercedes A-Klasse („befriedigend“) – wer hätte das erwartet?! Und auch der BMW 1er überrascht mit der Gesamtnote „Befriedigend“: Top bei der Bedienung sicherheitsrelevanter Funktionen („gut“), doch bei der Bedienung des Infotainments schneidet er miserabel ab („ausreichend“).


Das Tesla Model 3 landet deshalb abgeschlagen auf dem letzten Platz, weil die Bedienung – gerade auch sicherheitsrelevanter Fahrfunktionen – zu den längsten Bedien- und Ablenkungszeiten führt (Note „mangelhaft“). Hinsichtlich der Bedienung der Klimatisierung schlägt sich das Tesla Model 3 ebenfalls eher schlecht („ausreichend“), da viele Einstellungen über das Klimamenü vorgenommen werden müssen, das sich in einer Unterebene befindet. Immerhin lässt sich das Infotainment („sehr gut“) bestens bedienen.

Tesla: Gefährlich für Neulinge

Ohne vorherigen Hinweis konnte im Tesla Model 3 nur einer der Probanden die Taste für den Warnblinker am Dachhimmel finden, was für Tesla-Neulinge oder Gelegenheitsfahrer eine große Gefahr darstellen kann. Der Verzicht auf separate Tasten und Hebel für Fahrlicht/Nebelschlussleuchte und Scheibenwischer führt zu langen Bedien- und damit ebenfalls gefährlichen Ablenkungszeiten. Anders sieht es beim Infotainment aus, hier erzielt das Model 3 mithilfe seines reaktionsschnellen und großen Displays das beste Ergebnis unter den sechs Fahrzeugen. Kritisiert wurden von den Probanden nur die teils kleinen Touchflächen sowie die überladenen Ansichten.


Plus: Reaktionsschneller, großer und gut erreichbarer Touchscreen; geringste Ablenkung bei der Bedienung von Navi, Radio und Telefon (Ausnahme: Annehmen des Anrufs)


Minus: Keine separaten Bedienelemente für Fahrlicht und Scheibenwischer, Warnblinktaste außerhalb des Sichtfelds, keine separate Klimabedienung, unübersichtliche Menüstruktur

Fazit

Moderne Autos sind Hightech-Geräte mit unzähligen Funktionen und Einstellmöglichkeiten. Die Fahrzeugentwickler stehen vor der Herausforderung, die vielen Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungsfunktionen des Infotainmentsystems im Fahrzeugbediensystem zu bündeln und dieses gleichzeitig so übersichtlich und ergonomisch zu gestalten, um den Fahrer möglichst wenig vom Verkehrsgeschehen abzulenken. Lediglich eine intuitive Bedienung mit geringem Ablenkungspotenzial ermöglicht es dem Fahrer, den Funktionsumfang des Fahrzeugs auszuschöpfen, ohne dabei zum Sicherheitsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer zu werden. Die Sprachsteuerung ist allenfalls als Ergänzung zu sehen und keinesfalls als Ersatz für ein gut verständliches Bediensystem – selbst wenn sie in einigen Fahrzeugen inzwischen recht gut funktioniert.





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