“Wir sind startklar für die Zukunft” - Vorstandsmitglied Thomas Stierle erklärt, mit welcher Strategie Vitesco Technologies die Transformation vollzieht – und welche Hürden auf dem Weg in die Mobilität von morgen noch zu meistern sind.
Sie befinden sich mitten in dem Transformationsprozess hin zur Elektromobilität. Mit welchen Zielen startet Vitesco Technologies in das Jahr 2023?
Thomas Stierle: Für uns geht es darum, diese Transformation erfolgreich fortzuführen. Wir waren einer der ersten, wahrscheinlich sogar der erste Automobilzulieferer, der das Thema Elektromobilität klar ausgerufen hat. Daraus ziehen wir Vorteile, weil sich der Markt auch in Zukunft dynamisch entwickeln wird. Basierend auf dieser Strategie hatten wir einen sehr starken Auftragseingang. Unsere Hauptaufgabe wird demzufolge sein, die Aufträge im Sinne unserer Kunden, und auch was uns als Unternehmen betrifft, erfolgreich umzusetzen. Daran werden wir uns Ende des Jahres auch messen lassen.
Ist dieses neue und extrem dynamische Geschäft auch der Grund, warum Sie sich vor gut einem Jahr von Continental abgespalten haben und seitdem als eigenes Unternehmen an der Börse notiert sind?
Die Selbständigkeit macht uns agiler, schneller und damit flexibler. In einem derart dynamischen Markt ist es wichtig, dass Sie schnell reagieren und etwas umsetzen können. Wir haben uns innerhalb eines Jahres organisatorisch komplett neu ausgerichtet, das hätten wir in einem großen Konzern kaum geschafft. Ein Beispiel: Wenn es um die Finanzierung von Zukunftsprojekten ging, mussten wir uns früher auf verschiedenen Ebenen lange unterhalten. Wenn Sie dagegen spezialisiert sind, geht es erheblich schneller.
Eines Ihrer Ziele lautet, die Top-10-Produzenten von Elektrofahrzeugen zu beliefern. Was spricht konkret für Vitesco Technologies?
Eines vorneweg: Wir sind für jeden Kunden da. Ganz unabhängig davon, ob er in den Top 10 rangiert. Selbstverständlich schauen wir uns die größten Hersteller ganz genau an: Was machen sie? Wohin zielen sie? Wie müssen wir unsere Plattformen anpassen, um möglichst viele der Top 10 zu bedienen? Auf diese Weise können Sie Skaleneffekte generieren, was zu unserem Anspruch als global agierendes Unternehmen passt. Mit acht der großen Zehn haben wir heute schon Projekte laufen. Was uns attraktiv macht, ist die langjährige Erfahrung im Bereich der Elektromobilität. Wir sind seit 15 Jahren in diesem Segment tätig, haben mittlerweile bereits die vierte Generation unserer Leistungselektronik am Start. Das sind Inverter, welche die Gleichspannung aus der Batterie in Wechselspannung für den Elektromotor umwandeln. Unter anderem haben sie auch Einfluss auf die Effizienz des Antriebs. Auch unseren elektrischen Achsantrieb produzieren wir in vierter Generation. Dazu kommt, dass wir eines der umfangreichsten Portfolios im E-Segment anbieten. Daraus resultiert unser großes Systemverständnis für die einzelnen Komponenten. Wir sind startklar für die Zukunft, auch weil wir an neuralgischen Punkten Partnerschaften eingegangen sind. Als Beispiel möchte ich die Siliziumkarbid-Entwicklung erwähnen – mit der Firma Rohm und auch Infineon. Dieses Gesamtpaket macht uns als Partner attraktiv.
Wie schafft es Vitesco Technologies trotz der weltweiten Schwierigkeiten in den Lieferketten als verlässlicher Partner zu agieren?
Unsere Firmenphilosophie lautet: In the market for the market. Möglichst unabhängig zu sein von Störungen, wie wir sie gerade alle erlebt haben oder erleben: Corona, Lockdowns, Naturkatastrophen und Kapazitätsengpässe bei den Halbleitern. Wenn Sie in dem jeweiligen Markt und für diesen Markt agieren, entfallen Themen wie Währung oder Logistik. Wenn Sie in diesem Markt Ihre Teile beziehen, entwickeln und auch produzieren, erreichen Sie meist auch eine höhere Effizienz.
Mit der Transformation verändern sich auch viele Berufsbilder. Welche Qualifikationen sind kurz- und mittelfristig gefragt?
Wir sind in unserer DNA sehr elektronik- und softwarelastig, diese Qualitäten sind auch in der Elektromobilität gefragt. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen, die bisher an anderen Antriebsmodellen gearbeitet haben, können also relativ einfach qualifiziert werden. Doch es gibt auch neue Bereiche, in denen wir langjährige Expertise haben und die wir gerade weiter ausbauen – wie das Life-Cycle-Engineering. Hier geht es um Öko-Bilanzierung, die komplette Wertschöpfungskette – von der Gewinnung der Rohstoffe über deren Verarbeitung und Verwendung. Das sind neue Segmente, in denen man sich Kompetenzen erarbeiten muss. Wir kooperieren in diesen Bereichen auch mit Hochschulen, um zu vermitteln, welche Qualitäten es künftig braucht.
Welche Antriebsvarianten haben in der E-Mobilität das größte Potenzial?
Ich denke, dass sich in der Zeitspanne bis 2030 alles sehr stark auf die batterieelektrischen Fahrzeuge fokussiert. Die Batterietechnologien werden sich verbessern, dadurch werden die Fahrzeuge effizienter und größere Reichweiten haben. Und: Sie werden günstiger. Über die Skaleneffekte werden wir signifikante Kostensenkungen sehen. Die Mobilität wird insgesamt nachhaltiger. Das Recycling wird einfacher, der CO2-Fußabdruck besser. So wird Elektromobilität insgesamt noch einmal attraktiver, auch für den Massenmarkt.
Karriere im Konzern
Thomas Stierle (53), Mitglied des Vorstands, leitet bei Vitesco Technologies seit 2018 den Geschäftsbereich Electrification Technology und seit Mitte 2022 zusätzlich den Geschäftsbereich Electronic Controls. Er begann seine Karriere 1995 bei Siemens in Regensburg im Bereich Elektronikentwicklung. Von 1999 bis 2004 war er mit der Hardware-Entwicklung für Airbagsteuergeräte in Auburn Hills (USA) beschäftigt. Bei Continental arbeitete er in mehreren Führungspositionen im Produktbereich Motoraktuatoren oder im Bereich der Fahrerassistenzsysteme.
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