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Interview: Kurt Sigl, Präsident BEM

Autorenbild: Armin GrasmuckArmin Grasmuck

Die Zukunft beginnt jetzt - Kurt Sigl, der Präsident des Bundesverbands eMobilität (BEM), über den rasanten Umbruch in der Branche, neue Berufsbilder und klare Trends, die nachhalten.

 
BEM-Präsident Kurt Sigl
BEM-Präsident Kurt Sigl

Macher mit klarer Vision

BEM-Präsident Kurt Sigl (64) gilt als Leitfigur auf den Gebieten der Elektromobilität und der erneuerbaren Energien. Der kernige Oberbayer, einst im Dienst von Audi, punktet mit seiner über Jahrzehnte ausgeprägten Expertise – und als begnadeter Netzwerker. Mit Nachdruck arbeitet er daran, traditionelle Strukturen und Denkmuster zu hinterfragen, um Raum für neue und zukunftsfähige Modelle zu schaffen. „Man muss machen, nicht nur reden“, sagt Sigl. „Die Hemmschwelle muss überwunden werden, es ist jetzt die Zeit zum Handeln.“ Den BEM betrachtet er als ideale Plattform, die alle relevanten Akteure im Bereich der E-Mobilität schnell und effizient zusammenbringen kann.

 

Die großen Automobilhersteller und die Spitzenvertreter der Politik haben sich in den vergangenen Monaten klar zu der Elektromobilität bekannt, die Verkaufszahlen der akkubetriebenen Fahrzeuge sind stark angestiegen. Wie ist der Aufschwung für Sie konkret spürbar?

Kurt Sigl: Wir merken es an den Zulassungszahlen für Elektrofahrzeuge, die rasant nach oben gehen. Allerdings gestützt von der Förderprämie, die wir in ihrer Systematik dringend umarbeiten müssen, Natürlich hat auch der Wahlkampf mit hineingespielt, der Druck ist groß, um die klimapolitischen Ziele vor allem im Verkehrssektor zu erreichen, dem Sektor mit steigendem CO.-Ausstoß. Der spannendste Effekt ist, wie viele kleine und mittelständische Unternehmen es in Deutschland gibt, die sich jetzt dem Thema Elektromobilität annehmen und treiben. Es zieht sich hoch bis zu den großen Zulieferern wie ZF, Bergisch Achsen und IAV. Viel tut sich auch in den anderen Segmenten: Elektrifizierte Kleinfahrzeuge, Lastenräder, Letzte-Meile-Lösungen. Raus aus den Innenstädten mit den Schwertransportern. Auch bei E-Aviation und elektromaritimen Lösungen bewegt sich viel.


Sie haben die Politik angesprochen: Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Wir als Verband haben es anfangs sehr positiv gesehen. Als wir erfuhren, dass der Verkehrsminister nicht aus der grünen Ecke, sondern von der FDP kommt, haben wir die unternehmerischen Chancen gesehen. Jetzt müssen wir beobachten, wie es sich entwickelt, sind aber überzeugt, dass es funktionieren kann. Es sind Pragmatiker und Macher am Werk. Wenn der Dreiklang, den die neue Regierung spielt, ordentlich gelingt, wird es kaum schlechter als es war.


Die Elektromobilität gilt seit Jahrzehnten als das große Zukunftsthema. Warum ist gerade jetzt die Zeit für den nachhaltigen Wandel?

Der Umschwung wurde vor 13 Jahren eingeleitet, als die Regierung den nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität verabschiedete. Für uns war es ein falscher Ansatz, weil er kein europäischer war. Getrieben wurde im Ausland, weniger in Deutschland. Zuerst vom visionären Amerikaner. Es folgten die Chinesen, die gute Qualität liefern – und die Koreaner, die in der Autoindustrie eine massive Rolle spielen. Heute sind E-Fahrzeuge der wichtigste Baustein für die Dekarbonisierung des Verkehrs. Sie treiben uns, erneuerbare Energie zu produzieren, die wir wirtschafts- und aktuell auch sicherheitspolitisch benötigen.


KOLLEKTIVER BOOM - Der BEM registriert auch erfolgversprechende Entwicklungsmodelle in den Bereichen Nutzfahrzeuge und elektromaritime Mobilität.

Was sind die größten Vorbehalte gegenüber der Mobilität von morgen, die Sie im täglichen Austausch auch mit BEM-Mitgliedern registrieren?

Vor drei Jahren hätte ich gesagt: Infrastruktur! Das Thema ist jetzt in progress – also am Werden. Die Infrastruktur wird in einem rasanten Tempo ausgebaut. Vor vier, fünf Jahren hätte ich gesagt: Kartenabrechnung, wie bezahle ich? Das ist jetzt geklärt. Es gibt mittlerweile genormte Stecker und auch das Bezahlen ist in der neuen Ladesäulenverordnung konkret definiert – also auch auf den Weg gebracht. Jetzt geht es darum, den Menschen die Logik und das System zu erklären! Keineswegs nur den Autofahrern, auch die Rechtsanwältin und der Steuerberater müssen wissen, was auf sie zukommt. Aber auch die Politik und die Gesetzgebung. Denn in Zukunft geht es noch einen Schritt weiter: Ich gebe den Strom aus meinem Auto in mein Haus ab – oder an andere Autofahrer. Auf diese Szenarien müssen wir uns vorbereiten, sonst laufen wir wieder dem Rest der Welt hinterher.


Was heißt das speziell für die Fahrer von E-Autos?

Wir müssen den Leuten erklären, was mit dem Elektrofahrzeug alles möglich ist – sich auch das eigene Fahrprofi l genau anzusehen und das Potenzial zu nutzen. Viele haben keine Ahnung, was sie ihr Auto eigentlich kostet. Sie wissen: Ja, das Benzin kostet jetzt fast zwei Euro. In Wirklichkeit ist es fast genauso teuer wie im Jahr 1980. Damals haben wir weniger verdient, und die Autos verbrauchten nicht fünf Liter, sondern zehn. Heute geht es um etwas anderes. Es geht etwa darum, den Menschen zu erklären, was CO.-Zertifikate sind und dass fossile Energieträger verschwinden müssen. In den skandinavischen Ländern funktioniert es längst. So kann jeder profitieren, so gibt es keine Verlierer. Es ist inzwischen einen gesellschaftliche Debatte.


Der große Wandel bedeutet auch große Umbrüche, was den Arbeitsmarkt in den einzelnen Industriezweigen betrifft. In welchen Branchen sind Stellen bedroht und wie entstehen neue Berufsbilder?

Die großen Verluste an Arbeitsplätzen in der Autoindustrie und deren Umfeld werden meiner Ansicht immer etwas überzogen dargestellt. Im Prinzip geht es darum zu verstehen, dass wir Arbeitsplätze, wie wir sie kennen, verlieren werden. Klar, wenn man Mechanik durch Elektronik ersetzt, gibt es einen Wandel. Und klar, ich kann nicht von jedem Mechaniker verlangen, dass er Elektroniker wird. Unsere Aufgabe ist es, die neuen Generationen bereits ab der Grundschule darauf vorzubereiten, sich mit den neuen Themen zu beschäftigen. IT kann ein wunderbares Thema sein, wenn man es richtig vermittelt – und nicht so trocken, wie es bei uns häufig noch passiert. Durch die Expertise unserer Mitglieder haben wir festgestellt: Bis 2030 benötigen wir alleine in Deutschland, um Ladeinfrastruktur ordentlich vorbereiten, installieren und abrechnen zu können 255.000 neue Arbeitskräfte. Dazu kommt das riesige Segment IT mit vielen neuen Möglichkeiten. Wir müssen diese Jobs schmackhaft machen und das duale Studium fördern. Ein Beispiel: Wir haben den Solarteur entwickelt. Als Elektriker kannst du eine Solaranlage mit allen Stempeln und Unterschriften im kommunalen Raum zertifizieren, nachdem du einen Sonderlehrgang über drei bis sechs Monate belegt hast – das funktioniert sehr gut.


Was muss ein Facharbeiter konkret tun, wenn er sich in diesem Bereich verändern möchte?

Das ist eine Aufgabe, da müssen auch die etwas verkrusteten Kammern und Innungen in Bewegung kommen. Wir versuchen das Thema in diesem Jahr in einem Konstrukt mit dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mehr in die Schule und in die Lehre zu übertragen. Wir sind in Europa über das duale Bildungssystem und die klassische Ausbildung von Handwerkern gut aufgestellt. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass für die neue Art der Mobilität geschult wird – und dass es flott geht.


STARTKLAR FÜR DIE ZUKUNFT - Die rasante Entwicklung im Segment der Elektromobilität schafft neue Berufsbilder und eine neue Infrastruktur rund um die Autos – moderne Ladestationen inklusive.

Geht die neue Akademie, die Sie im BEM planen, genau in diese Richtung?

Die Pläne liegen auf dem Tisch. Jetzt gehen wir raus und reden mit den Trägern. Die Expertise haben wir im Verband durch unsere Mitglieder. Gerade diese Mitglieder haben großes Interesse, Akademiearbeit zu leisten, um ihre eigenen Leute nach vorne zu bringen, aus- und weiterzubilden, zu qualifizieren und auch um Nachwuchs zu gewinnen. Das wird die Herausforderung unserer Akademie als verbindendes Modul zwischen Schulen und Unternehmen sein. Speziell die duale Ausbildung zu fördern. Studieren ist ja schön und gut, doch wir brauchen auch Praktiker.


Wie hat sich die Arbeit in Ihrem Verband in den vergangenen knapp 13 Jahren verändert?

Hätte mir seinerzeit einer gesagt, dass wir heute da sind, wo wir sind, hätte ich den Kopf geschüttelt. Uns war eigentlich nicht bewusst, worauf wir uns einlassen. Der erste nationale Entwicklungsplan gab einen Schub, der hat uns nach vorne gebracht. Dann kam das große Tal der Tränen, bevor es konstanter wurde. Was wirklich gut war: Wir haben uns immer wieder vor den Spiegel gestellt und überprüft. Ist es richtig, was wir gerade tun? Wir müssen das Thema neue Mobilität in die Mitte rücken, dazu gehört die Sektorenkopplung mit der Energiewirtschaft, der Digitalisierung und natürlich die Vernetzung innerhalb der Branche. Große Automobilverbände sind von gestern. Wir können in unserem Netzwerk aufrütteln, wachrütteln und neue Strukturen schaffen. In den vergangenen Jahren hat es sich – sicherlich auch aufgrund des Dieselskandals – sehr rasch entwickelt. Unser Erfolg ist das Ergebnis unserer kontinuierlichen Arbeit und Ausdauer.


Elon Musk, der Pionier der Elektromobilität, war zuletzt bei Volkswagen in Wolfsburg zu Gast. Was fehlt den deutschen Konzernen noch auf dem Weg zu höchst effizienten E-Produzenten?

Man muss den Mitarbeitern mehr Verantwortung übertragen. Es gilt, die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Man sieht es in der Effizienz von Tesla, wie schnell dort ein Auto gebaut wird im Verhältnis zu den deutschen Konkurrenten. Oft hörte ich den Einwand: Ja, aber es hat nicht die Qualität ... Hatte! Möchte ich betonen. Wir sehen bei Tesla jedes Jahr, wie sich die Qualität verbessert. Vor 30 Jahren haben wir über die Japaner gelacht, vor 20 Jahren über die Koreaner – inzwischen liefern auch die Chinesen auf gutem Niveau. VW hat es selbst erlebt: Marken wie Skoda und Seat stehen im Konzern heute für höchste Qualität. Dafür ist die Prozesstechnologie verantwortlich, die wir in Deutschland noch sehr gut beherrschen. Wir müssen aufpassen, dass wir diese Kompetenz nicht auch noch verlieren. Gerade diese Prozesse sind unsere große Stärke.


In welche Richtung wird sich das Autofahren in den nächsten zehn Jahren entwickeln?

Massiv, zwangsläufig. Denn wir können die Masse an zunehmendem Verkehr gar nicht mehr anders regeln. In den Städten wird es ohnehin neu strukturiert. Sharing, das geteilte und gemeinschaftliche Nutzen des Autos, wird das große Thema. Spätestens dann, wenn die Leute merken, wie teuer ihnen das eigene Auto kommt. Es gibt die Informationen, dass in den neuen Teslas die Sharing-Funktion bereits freigeschaltet worden ist. Die Zukunft beginnt jetzt. Bike, Roller, Auto. Für längere Reisen der Zug. Warum versorgt Tesla den Vermieter Hertz mit Fahrzeugen? Warum hat VW-Chef Diess denn Europcar gekauft? Weil sie wissen, dass das neue Geschäftsmodell in der Miete und im Abo liegen wird. Diese Angebote machen jedem Nutzer das Leben leichter, schmerzfrei, bequem und komfortabel.


WANDEL IN DER CITY - Eine Vielzahl von batteriegetriebenen Kleinfahrzeugen und Sharing-Modelle der modernen Art verändern die Struktur des Innenstadtverkehrs grundlegend.

Warum sind batteriegetriebene Fahrzeuge mittelfristig die besseren Geschäftswagen?

Ganz einfach: Weil sie Kosten sparen. Auf Dauer gesehen, sind Elektroautos erwiesenermaßen günstiger. Wir erleben es gerade auf kommunaler Ebene. Die Leiter der Fuhrparks sind da allein aus Kostengründen angehalten, relativ zügig auf Elektrofahrzeuge umzurüsten.


In welchen anderen Bereichen sind die Stromer auf dem Vormarsch?

Wir werden im maritimen Bereich riesige Schritte erleben, genauso im urbanen Segment. E-Fahrzeuge im Leichtkraftbereich werden immer populärer – vom Lastenrad bis hin zu Autos wie dem Microlino, der sich ideal für den städtischen Alltag eignet. Er wird sich auch auf dem Land durchsetzen, weil er einfach eine Knutschkugel ist. Im elektromaritimen Bereich wird es scheppern, da gibt es großen Bedarf – und es gibt sehr viele und einfache Möglichkeiten, Strom zu speichern. Wir werden dort auch andere Energiespeicher sehen. Es können auf dem Wasser beispielsweise Motoren fahren, die mit Biomethanol in Kombination mit Akkus angetrieben werden.


Wie kann es gelingen, die Elektromobilität noch nachhaltiger zu gestalten?

Die Potenziale sind gigantisch. Jeder Hersteller, jeder Zulieferer legt heute großes Augenmerk auf die Lieferanten seiner Rohstoffe. Da sind Langfristigkeit und Planungssicherheit entscheidende Themen. Auch die Berücksichtigung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft ist wichtig. Wer nur auf den Preis schaut, wird ganz einfach nicht beliefert. Wir müssen speziell in unserer Denke nachhaltiger werden. Leben und leben lassen – es gilt mehr denn je.

 

BEM - Starker Partner für die Mobilität von morgen

Der Bundesverband eMobilität (BEM) ist eine Interessensvereinigung zur Förderung der elektrischen Mobilität auf Basis erneuerbarer Energien mit Sitz in Berlin, die im Jahr 2009 gegründet wurde. Im engen Zusammenspiel mit Politik und Wirtschaft setzt sich der Verband konsequent dafür ein, den Rahmen für die emissionsarmen Antriebsarten in Deutschland zu schaffen und diese nachhaltig zu etablieren. Im BEM sind derzeit rund 400 Mitglieder aus der Branche der E-Mobilität organisiert, die aus nahezu allen Bereichen des Fahrzeugbaus, der Energiewirtschaft und dem Transportwesen kommen, darunter namhafte Unternehmen wie die Allianz, EnBW oder Kia. Sie tauschen sich im stetigen Turnus in den speziellen Fach- und Arbeitsgruppen aus, die der Verband anbietet – von Micromobilität über Batterie, Big Data und Blockchain bis hin zu eAviation. Der BEM unterhält zehn Landesvertretungen über die Bundesrepublik verteilt und mehrere Dependencen in ganz Europa sowie in China.


Bildquelle: BEM e.V.


EM e.V.

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