In 24 Stunden von den Niederlanden nach Serbien zu fahren, klingt machbar. Aber in einem Elektroauto? Unser Fahrer, Neil Winn lädt einen Porsche Taycan auf und geht aufs Ganze!
Ich stehe in der niederländischen Stadt Eijsden, mit einem Porsche Taycan auf der einen Seite und der belgischen Grenze auf der anderen. Vor uns liegen ca. 1.800 Kilometer, 11 Teilstrecken und zwei Umdrehungen der Uhr. Zumindest in der Theorie, denn während das Absolvieren der ersten Teilstrecke eine einfache Aufgabe ist, beginnt wenig später die echte Herausforderung, 13 Länder in 24 Stunden mit einem E-Auto zu durchqueren.
Die Prämisse für diese Reise ist einfach. In den nächsten 24 Stunden wollen wir so viele Länder in Kontinentaleuropa wie möglich hinter dem Lenkrad eines Porsche Taycan besuchen und dabei herausfinden, wie weit fortgeschritten das öffentliche Schnellladenetz ist. Reichweitenangst? Angst vor dem Aufladen? Wir werden es erfahren.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre diese Art von Abenteuer dank des engmaschigen Supercharger-Netzes nur eine Option für Tesla-Besitzer gewesen, aber in den letzten Jahren hat ein Joint Venture namens Ionity – gegründet von der BMW Group, der Ford Motor Company, der Hyundai Motor Group und der Volkswagen-Gruppe – zahlreiche 350-kW-Ladestationen auf dem ganzen Kontinent ausgerollt. Und weil sie an meist befahrenen Durchgangsstraßen zu finden sind, war es überraschend einfach, sechs Ladestationen entlang unserer Route einzuplanen, von denen keine einen größeren Umweg erforderte.
Sechs Stopps klingt viel, aber mit der maximalen Ladeleistung von 270 kW, sollte es nur etwa 20 Minuten dauern den Taycan von 10 auf 80 Prozent aufzuladen - gerade genug Zeit für uns, jeweils einen Kaffee zu trinken.
Bevor wir losfuhren, hatten wir unsere berechtigten Zweifel, dass der Taycan seine offizielle Reichweite von rund 500 Kilometer bei Autobahngeschwindigkeit erreicht. Und schon bald nach dem Losfahren war uns klar, dass sich die Vorhersage des Bordcomputers nach jedem gefahrenen Kilometer um einen weiteren Kilometer reduzierte.
Eijsden, Niederlande - Hauconcourt, Frankreich
Erfreulicherweise dauerte es nicht einmal fünf Minuten von unserem Ausgangspunkt, einem Kirchenparkplatz in Eijsden, um um 16.03 Uhr die belgische Grenze zu erreichen, woraufhin wir den Tempomat auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h einstellten und mühelos in unser drittes Land fuhren, nach Luxemburg.
Luxemburg ist etwa zehn Mal kleiner als Belgien, aber die rush hour verursachte einen Stau, der uns 20 Minuten kostete. Nicht sehr schlimm, aber auch nicht ideal. Schlimm wurde es erst an unserem ersten offiziellen Ladepunkt in Hauconcourt in Frankreich, denn dort war unglaublich viel los.
Wir schafften es zwar, das letzte Ladegerät zu ergattern, aber wegen der fünf anderen E-Fahrzeuge, die zur gleichen Zeit luden, hatten wir nur eine Spitzenladeleistung von knapp über 70 kW. Das Ergebnis: Es dauerte mehr als 45 Minuten, um auf einen Ladestand von 75 Prozent zu kommen.
An diesem Punkt beschlossen wir, umgehend nach Deutschland zu fahren, wo wir hofften, schnellere Straßen und schnellere Ladestationen vorzufinden.
Hauconcourt, Frankreich - Mahlberg, Deutschland - Lindau, Schweiz
Die Genauigkeit der Reichweitenanzeige des Taycan gab uns das Vertrauen, unsere Reisegeschwindigkeit erhöhen zu können. ‚Erhöhen‘ heißt in diesem Fall, dass wir den Nachbrenner gezündet haben. Nach der Überquerung des Rheins um 21.01 Uhr, dauerte es nicht lange und wir sahen auf unserem Tacho kurzzeitig 238 km/h, das sind 5 km/h mehr als die offizielle Höchstgeschwindigkeit des Taycan.
Das half uns, gut 20 Minuten zurückzugewinnen, so wie auch die bemerkenswert schnelle Aufladung bei Ionity Mahlberg. Im Gegensatz zu Hauconcourt waren alle vier Ladestationen frei, so dass wir mit einer Spitzenleistung von etwa 250 kW gerade einmal 30 Minuten brauchten, um 90 Prozent Ladestand zu erreichen; wir hatten kaum genug Zeit, um einen Kaffee zu trinken und etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Danach machten wir uns auf den Weg in das Land Nummer sechs: die Schweiz.
Lindau, Schweiz - Brennerpass, Italien
In Lindau beschlossen wir, den Taycan auf 95 Prozent aufzuladen, denn der nächste Abschnitt war eine weitere 320-Kilometer-Etappe, dieses Mal aber mit einem langen Anstieg, nämlich zum Brennerpass an der österreichisch-italienischen Grenze. Und wir waren bald dankbar für diese Extra-Ladung, denn die kurvigen Alpenstraßen ließen unsere Reichweite sehr schnell sinken. Als wir um 3.25 Uhr in Italien ankamen, hatten wir gerade noch rund 10 Prozent.
Erfreulicherweise erreichten wir beim nächsten Aufladen am Brenner eine Spitzenleistung von 262 kW, das war auf unserer Reise die persönliche Bestleistung.
Brennerpass, Italien - Radovlijica, Slowenien-Smednik, Slowenien
Auf unserer Fahrt durch Norditalien und Südösterreich hat der Taycan eindrucksvoll daran erinnert, warum er von uns im Jahr 2021 mit fünf Sternen bewertet wurde. Mit seiner außergewöhnlich präzisen, feinfühligen Lenkung, unglaublicher Gelassenheit und gefühlvollen Bremsen, war es eine absolute Freude, lautlos durch die rund 190 Kilometer Alpenstraßen zu gleiten. Und da ein großer Teil der Strecke nach Slowenien bergab führte, verbrachte das Auto viel Zeit damit, durch sein intelligentes adaptives Bremssystem Energie zu rekuperieren.
Der Vorteil war ein doppelter. Erstens konnten wir unsere Reisegeschwindigkeit maximieren (wir holten mehr als eine halbe Stunde in der Nacht herein) und zweitens bedeutete es, dass wir bei unserer Ankunft um 7.30 Uhr am nächsten Tag in Slowenien noch 50 Prozent Akku übrighatten.
Wir benötigten in Radovljica weniger als eine halbe Stunde für das Aufladen. Zum Glück war es nur ein kurzer Trip von rund 130 Kilometer bis zur zweiten Ladestation in Slowenien, und erst bei unserer Ankunft in Smednik wurde uns klar, welch gute Fortschritte wir gemacht hatten. Die Zollbeamten an der slowenischen Grenze schauten kaum auf unsere Pässe und unsere Durchschnittsgeschwindigkeit war weit über dem, was wir vorhergesagt hatten. Das brachte uns auf eine Idee.
Smednik, Slowenien - Ungarische Grenze
Anstatt wie geplant direkt nach Bosnien und von dort weiter nach Serbien zu fahren, überlegten wir nach Ungarn zu fahren, eine Schleife zu drehen und für eine letzte Ladung zurück nach Kroatien zu fahren, um schlussendlich danach noch die beiden verbleibenden Länder auf unserer Liste abzuhaken.
Damit hätten wir 14 Länder erreicht, ein Land mehr als unser ursprüngliches Ziel von 13. Und das Risiko schien gering zu sein. Das Schlimmste, was uns hätte passieren können, wäre gewesen, dass wir Serbien innerhalb der 24 Stunden nicht geschafft hätten. Aber dann hätten wir trotzdem die ursprünglich geplanten 13 Länder geschafft. Also programmierten wir das Navigationssystem um und fuhren los. In Kroatien gab es auf den breiten Autobahnen fast keinen Verkehr, was es uns ermöglichte, in etwa eineinhalb Stunden zur ungarischen Grenze zu gelangen.
Wir waren gut drauf. Bis zu dem Punkt, an dem ein ziemlich strenger Grenzbeamter einen Blick auf unsere Nicht-EU-Pässe warf und uns aufforderte, zur Seite zu fahren und auf die Kontrolle zu warten. Die Minuten verstrichen quälend langsam, während wir zusahen, wie Auto um Auto unbehelligt nach Ungarn einfuhr.
Etwa 45 Minuten später (genug Zeit für uns, um zum Schluss zu kommen, dass alles vorbei sei) erschien ein Beamter mit unseren gestempelten Pässen und ließ uns passieren. In diesem Moment bemerkten wir die lange Schlange bei der Einreise nach Kroatien, also beschlossen wir dem Zollbeamten mitzuteilen, dass wir falsch nach Ungarn abgebogen waren und umkehren mussten.
Glücklicherweise begegnete man uns mit Sympathie statt Wut, wir wurden in der Warteschlange vorne eingeschleust und ein paar Minuten später waren wir wieder in Kroatien
Ungarische Grenze - Sop, Kroatien - Bosnische Grenze - Serbische Grenze
Nachdem wir Ungarn verlassen hatten, brauchten wir weniger als eine Stunde, um die nächste Ionity-Ladestation, südlich von Zagreb zu finden. Wir hatten keine Zeit zu verlieren und hängten uns 23 Minuten lang an die Steckdose, was uns eine 80%ige Ladung bescherte - gerade genug, dachten wir, um uns nach Bosnien und Serbien zu und dann zurück zu einer Ladestation in Kroatien zu bringen.
Die nächsten paar Stunden verbrachten wir in einer Mischung aus Adrenalin und Nervosität. Als wir um 13.10 Uhr aufbrachen, dauerte es weniger als eineinhalb Stunden, um zur bosnischen Grenze zu gelangen. Zum Glück wurden wir durchgewunken und so machten wir eine Schleife in Bosnien und machten danach kehrt, um zum dritten Mal über den Fluss Save nach Kroatien zu fahren.
Wären wir angehalten worden, hätte es wohl keinen Sinn mehr gehabt, weiterzufahren. Aber ein kurzer Blick auf das Navi sagte uns, dass die serbische Grenze nur noch 75 Minuten entfernt war, und wir hatten immerhin noch 90 Minuten, bis unsere 24 Stunden abgelaufen waren. Also schalteten wir die Klimaanlage aus, um die Reichweite zu maximieren und machten uns auf den Weg.
Um 15.53 Uhr, 23 Stunden und 50 Minuten nach dem Verlassen der Niederlande, erreichten wir Serbien. In dieser Zeit legten wir 1.929 Kilometer mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 98 km/h zurück und hatten sieben Ladestopps eingelegt. Die Akkuanzeige stand auf 20 Kilometer, aber das war uns egal. Wir waren glücklich, wir hatten mit einem Elektroauto in nicht einmal 24 Stunden 14 Länder besucht.
Neuer Rekord?
Wir glauben, dass wir einen neuen Rekord geschafft haben. Es ist unmöglich, Zeitrekorde offiziell auf öffentlichen Straßen zu überprüfen, aber während unserer Recherche fanden wir keine Dokumentation von ähnlichen Abenteurern, die mit einem E-Auto mehr Länder in 24 Stunden bereist haben.
Porsche Taycan (Performancebatterie Plus)
Motor | Permanenterregte Synchronmaschine an Hinterachse |
Preis | € 94.122,40 |
Leistung | 408 PS |
Leergewicht | 2.130 kg |
0-100 km/h | 5,4 Sekunden |
Spitze | 230 km/h |
Batterie | 83.7 kWh (nutzbar) |
Reichweite | 505 km |
Verbrauch | 20,4 kWh/100 km |
Was hat es gekostet?
Ionity-Kunden zahlen 80 Cent pro Kilowattstunde, aber Porsche Taycan Kunden erhalten drei Jahre lang Zugang zum Porsche Charging Service ohne Abonnementgebühr (danach beträgt die Gebühr rund 200 Euro pro Jahr). Dadurch ergab sich bei unserer Fahrt ein Durchschnittspreis von 35 Cent pro kWh. Insofern lagen die gesamten Ladekosten für die Reise, einschließlich der ersten Ladung in den Niederlanden, bei etwa 140 Euro. Für reguläre Prepaid-Kunde von Ionity wäre es hingegen mehr als doppelt so teuer.
//Gastbeitrag von Neil Winn
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