Der Mercedes EQV im ELECTRICAR Drive-Test
- Armin Grasmuck
- 8. Apr. 2022
- 6 Min. Lesezeit
Komfort, Sicherheit, Technik - neuester Stand. Der Mercedes EQV avanciert im Segment der gehaltvollen Großraumgleiter zum Klassenbesten.

Die Tankklappe hat auch auf dem Weg in die Mobilität von morgen ihren Platz behalten. Diese gute alte Tankklappe auf halber Höhe rechts im Rahmen der Fahrertür, durch welche die Zapfpistolen der Tankstellen eingeführt wurden und immer noch werden, um die Verbrennermotoren der Vorgängermodelle mit ausreichend Treibstoff zu versorgen, gibt es auch in dem vollelektrischen
Mercedes EQV 300. Doch hier fließt kein Diesel mehr – und der Strom wird an der Frontseite in das Fahrzeug geladen. Tja, diese Ladeklappe ... Manchmal schafft es selbst die moderne Version des Klassikers, den Fahrer nachhaltig zu verblüffen.
Edel und elegant
Gut möglich, dass die traditionell sehr selbstbewusst und ausdrucksstark agierenden Konstrukteure des schwäbischen Premiumherstellers das über Jahrzehnte geschätzte und lieb gewonnene Element bewusst in die Zukunft transportiert haben. Als so genanntes Statement, wie es neudeutsch formuliert wird: Hier fährt ein Mercedes, der seinem ureigenen Anspruch an höchste Qualität gerecht wird und in der logischen Konsequenz prinzipiell als bester seiner Klasse zu gelten hat. Komfort, Sicherheit, Technik – neuester Stand. Der batteriegetriebene Kleinbus hält, was er verspricht.
Auf den ersten Blick wird klar: Der EQV hat dieses gewisse Etwas, und er hat viel mehr als die meisten Konkurrenten in der Kategorie der Großraumlimousinen des gehobenen Standards. Edel und elegant wirkt er, als er auf dem Parkplatz zum Einsteigen bereit steht. Wir setzen uns ins Cockpit und stellen auch hier fest: keine Kompromisse. Keine überdimensionierten Bildschirme, keine Reduktion auf die allernötigsten Knöpfe und Regler, keine schrillen Designs und Farben. Das Armaturenbrett mit seinen Instrumententafeln, Messanzeigern und Schalthebeln ist einfach so, wie wir es von Mercedes kennen. Leicht zu verstehen und zu bedienen, intelligent und ausgereift in jeder Hinsicht. Dies vereinfacht den Einstieg und erhöht auch mittelfristig den Fahrspaß. Legen wir los!

Den Fuß auf das Bremspedal, raus mit der Feststellbremse, den Hebel rechts am Lenkrad auf D – der Mercedes EQV 300 fährt ruhig und mit gediegener Eleganz auf die Fahrbahn. Schnell wird deutlich, wie sich der geräumige Stromer von den Verbrennern der V-Klasse unterscheidet. Während die Urahnen sich speziell bei frostigen Temperaturen mit kernigem Motornageln auf Betriebstemperatur brachten, surrt und schnurrt der EQV nur sanft und leise. Grazil gleitet er über den Asphalt.
Höchster Fahrgenuss
Tritt der Fahrer vehement das Gaspedal, wird der riesige Mercedes zur Wuchtbrumme. Er hält auch in dieser geballten Dynamik treu die Spur, meistert die Kurven. Doch ganz ehrlich, es ist kein Bus für wilde Slalomrennen. Dafür ist das 5,14 Meter lange Großraummodell keinesfalls entwickelt worden. Allein seine Attribute, die Formen und sein Klientel sprechen dagegen. Der EQV bringt höchsten Fahrgenuss, komfortabel, entspannt und mit dem klaren Anspruch auf das Wesentliche. Es ist kurios: Aus dem Blickwinkel des Fahrersitzes betrachtet wirkt dieser Mercedes auf uns wie ein SUV. Die breite Frontscheibe und der kurze Blick nach hinten erinnern uns jedoch schnell daran, dass wir hier definitiv in einer anderen Wagenklasse unterwegs sind.
Mehr als genug Luft und Raum
Der EQV ist eine hochwertige wie preisintensive Option für Privatpersonen, die sich und ihre Lieben gut transportiert sehen möchten – sehr beliebt allerdings auch als Flottenfahrzeug und High-end-Shuttle im Geschäftsleben. In diesem Ambiente und auf diesen Sitzen fühlt sich jeder wohl, vom Hotelgast bis zum Generaldirektor. Die auch im E-Modell noch kantige Form lässt den bis zu acht Fahrgästen mehr als genug Luft und Raum. Unser Testwagen ist mit vier Einzelsitzen im Fond ausgestattet, was das Wohlbefinden noch einmal zu steigern vermag. Wir kriegen ein gutes Gefühl dafür, wie angenehm es sein kann, wenn der Bundeskanzler zum Staatsakt gefahren wird – oder Scarlett Johansson zum Filmset. Wichtig zu wissen für den Chauffeur oder das Familienoberhaupt: Die Einzelsitze und auch die Bänke, die in flexiblen Leisten am Fahrzeugboden verankert sind, können schnell und einfach auch gegen die Fahrtrichtung eingebaut, versetzt, verschoben oder vollständig ausgebaut werden. Der Stauraum erhält auf diese Weise einen gänzlich neuen und opulenten Charakter.

Lange Kurven wie auf Schienen
Seit mehr als 60 Kilometern fahren wir über die Bundesstraße in Richtung Schwäbische Alb, vorbei an Ulm – und angetan von dem stabilen wie zuverlässigen Auftritt des EQV. In den Bereichen zwischen 80 und 120 Stundenkilometer wird die Fahrt zum Hochgenuss. Da säuselt der Große mit dem Stern im Logo ruhig und angenehm, es hat etwas von Privatjet oder ICE. Erster Klasse, versteht sich. Uns fällt auf, wie stark der Geräuschpegel je nach Fahrbahnbelag variiert. Wie ausgereift und effizient die digital gesteuerten Fahrhilfen unterstützen, erkennen wir besonders in den länger gezogenen Kurven. Wird‘s zu schnell, greifen sie ein. Achse für Achse, Reifen für Reifen, von sanft bis bestimmt.
Der EQV fährt wie auf Schienen, er hat auch das Verkehrsgeschehen rund um sich herum voll im Sensorenfeld. Es ist faszinierend, wie schnell und einfach, die Fahrhilfen auch in diesem Mercedes zu bedienen sind. Wir strecken den linken Zeigefinger am Lenkrad aus, schieben die Schalthebel nach oben – läuft. Das Auto hält in der gewünschten Geschwindigkeit die Spur und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Der EQV bremst, im Notfall sogar bis zum Stillstand. Das können heute alle Modelle dieser Preisklasse? Theoretisch schon. Wenn es den Fahrern gelingt, die mitunter skurril anmutenden Sicherheitssysteme erst einmal zu aktivieren.
Längere Ausfahrten wollen in diesem Mercedes wohl geplant sein, die Reichweite ist allein aufgrund seiner Größe, der riesigen Frontpartie und seines Gewichts begrenzt. Geschwindigkeiten jenseits der 130 Stundenkilometer leeren die Batterie im Schnelldurchlauf. Der Verbrauch liegt selbst bei zurückhaltender Fahrt über 25 Kilowattstunden pro 100 Kilometer, Wegstrecken von 200 Kilometern und mehr sollten unbedingt strategisch geplant werden. Immer vorausgesetzt, dass der Akku zu Beginn der Fahrt zu 100 Prozent aufgeladen ist. Der Ladesäulensucher im Navigationsgerät arbeitet zuverlässig, es hilft ihn gut im Blick zu behalten. Speziell bei kühleren Temperaturen ist es ratsam, den Elektrobus kürzer getaktet und regelmäßig mit frischen Stromstößen zu animieren.
Der eigentliche Ladevorgang von zehn auf 80 Prozent dauert im EQV rund 45 Minuten. Wir gleiten im Eco-Modus über die Autobahn zurück nach Bayern und schaffen mehr als 250 Kilometer bis zum nächsten Ladestopp. In der Praxis heißt es: alle 200 bis 250 Kilometer für 45 Minuten an die Ladesäule. Wie gut, dass zumindest das Navigationsgerät mit seiner so genannten Electric Intelligence zu Beginn der Fahrt die effizienteste Route wählt und auch den stets aktualisierten Ladestand anzeigt, der für die Ankunft an den Ladesäulen und dem Ziel errechnet worden ist – etwaige Staus und Umwege inklusive. Der Fahrer ist gut beraten, den Vorschlägen des Bordcomputers zu folgen, denn das Navi zeigt sich wenig kompromissbereit, wenn die vorgegebenen Routen verlassen werden. Es versucht dann lang und länger, den EQV auf die Ideallinie zurück zu bewegen, bevor es neue Optionen erkennt und entsprechend berechnet.

Qualität hat ihren Preis
Kühl kalkulieren sollten auch diejenigen, die sich ernsthaft damit beschäftigen, ihren Fuhrpark um dieses Prachtexemplar zu erweitern. Der Kleinbus von Mercedes ist ein zuverlässiger Wegbegleiter, der den höchsten Ansprüchen genügt – mit einer preisintensiven Pointe. Gut 70.000 Euro kostet das Basismodell, unser Testfahrzeug in der stylischen Avantgarde-Line mit dem komfortablen Dämpfungssystem Airmatic, Parkpaket, Klimaautomatik, Soundsystem und Co. erhöht den Gesamtpreis auf knapp 100.000 Euro. Es ist wie bei jedem Fahrzeug mit dem Stern, das sich als Klassenbester die Note eins plus verdient: Qualität hat ihren Preis.
Gerade in dieser Zeit, da sich das Mobilitätsverhalten privat wie geschäftlich grundlegend verändert, dürfte die Quote der potenziellen Barzahler, auch was den EQV betrifft, überschaubar bleiben. Der E-Bus von Mercedes ist allein durch sein außergewöhnliches Platz- und Komfortangebot ein Dauerbrenner im gehobenen Geschäftsbereich wie im VIP-Segment. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass er jetzt auch als Topmodell im boomenden Markt der Auto-Abos punktet. Vibe, der österreichische Anbieter für Elektrofahrzeuge, offeriert den EQV bereits ab 999 Euro pro Monat – eine attraktive Rate, gemessen an dem vergleichsweise hohen Neuwagenpreis, und eine gute Alternative für die Mobilitymanager, die ihren Fuhrpark gehaltvoll aufwerten möchten.
In eigenen Sphären
Im Stadtverkehr und auf der Mittelstrecke von bis zu 200 Kilometern verkehrt der Elektrobus als rollende Oase der höchst verlässlich vermittelten Glückseligkeit in eigenen Sphären. Geht es über längere Distanzen, sind der ICE oder gar der Privatjet vielleicht die interessanteren Alternativen, selbst wenn der Antrieb des EQV noch so sanft dahinschnurrt. Wer die Gelegenheit hat, zumindest als Gast eine Etappe in diesem opulent bemessenen Großraumgleiter mitzuerleben, wird diese besondere Art des Personentransports zu schätzen lernen.
Der Mercedes EQV 300 ist zweifellos eines dieser Fahrzeuge, in denen sogar der Chef sich ohne zu murren in die zweite Reihe bequemt. Es könnte auch sein, das er seinem Fahrer frei gibt, sich selbst ans Steuer setzt und in gewohnter Manier das Kommando übernimmt – kraftvoll und mit dem klaren Blick nach vorn.
Hersteller | Mercedes |
Modell | EQV 300 lang |
Antriebsart | Elektro |
Leistung | 150 kW |
Maße / Gewicht | 5.140 x 1.928 x 1.901 mm / 2.753 kg |
Türanzahl | 5 |
Kofferraum-Volumen | 1.030 l |
Batteriekapazität | 90 / 100 kWh (netto/brutto) |
Ladeleistung | 11 kW / 110 kW (AC/DC) |
Reichweite | 327 km |
0-100 km/h | 10 Sekunden |
Spitze | 140 oder 160 km/h |
Preis | ab 71.388 Euro |