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Exklusiv: Früherer VW-CEO Herbert Diess testet den BYD Dolphin Surf

  • Autorenbild: Beatrice Bohlig
    Beatrice Bohlig
  • 9. Okt.
  • 6 Min. Lesezeit

Fotos: Beatrice Bohlig
Fotos: Beatrice Bohlig

Erste Ausfahrt Spanien


Der Dolphin Surf von BYD war zum Marktstart in Deutschland für knapp 20.000 Euro zu haben. Ein Kampfpreis, mit dem der chinesische Hersteller unter anderem den europäischen Marktführer Volkswagen herausfordert. Wir haben Herbert Diess, ehemals Chef des VW-Konzerns, mit einem

Kleinwagen aus dem Reich der Mitte in Kantabrien besucht – für höchst exklusive Einschätzungen rund um Stromer und Strukturwandel.



Sein erster Eindruck ist positiv. „Der schaut ja ganz gut aus“, sagt Herbert Diess, als er den nur 3,99 Meter langen Viertürer von außen mustert. Dolphin Surf heißt das Elektroauto, und dessen hellen Lackton nennt der chinesische Hersteller BYD, kurz für Build Your Dreams, dezent Apricity White: Die „Wärme der Sonne im Winter“ soll dieses gedeckte Weiß laut Wörterbuch vermitteln.


Jetzt ist jedoch Sommer und der Norden Spaniens alles andere als kalt. Gut, dass der Kleinwagen eine Klimaanlage hat. Im kantabrischen Angustina besuchen wir Diess, von 2018 bis 2022 Vorstandsvorsitzender des Wolfsburger VW-Konzerns, auf seinem weitläufigen Anwesen Pico Velasco. Für die Anreise durch das umliegende Naturschutzgebiet betrachtet electricar einen Vollstromer als die richtige Wahl.


Obendrein hat BYD den rein elektrisch angetriebenen Dolphin Surf mit einer Besonderheit ins Gespräch gebracht: Zur Markteinführung in Deutschland war die Basisversion namens Active für 19.990 Euro zu haben. Rund 20.000 Euro – das ist just jene Preisklasse, auf die Diess’ früherer Arbeitgeber Volkswagen mit seinem für 2027 geplanten E-Auto ID. Every1 zielt.


Aus Kostengründen scheidet dessen Herstellung am Hochlohnstandort Deutschland aus – der kleine VW wird im portugiesischen Palmela produziert. So diffizil darzustellen ist das Angebot eines 20.000-Euro-Stromers in kaufmännisch gerade noch vertretbarer Weise, dass VW-Hauptmarkenchef Thomas Schäfer dabei gern von der „Champions League“ des Autobauens spricht.


Wenn man so will, spielt der chinesische VW-Herausforderer BYD also schon jetzt in der Königsklasse, für die sich Wolfsburg erst qualifizieren möchte. Genau darin liegt auch der Reiz einer fachmännischen Begutachtung des Dolphin-Surf-Konzepts durch den promovierten Ingenieur Herbert Diess. Heute sitzt der 66-Jährige dem Aufsichtsrat von Infineon Technologies vor und leitet bei The Mobility House den Verwaltungsrat.


Expressfahrt im E-Mobil


Der Wirtschaftskapitän sagt frei heraus: „Ein Grundpreis von unter 20.000 Euro ist beeindruckend“. Dass BYD damit Geld verdient, glaubt Diess allerdings nicht. Vielmehr halte das Unternehmen besagte Summe künstlich niedrig und gehe mit dem ja auch von BYD selbst entfesselten Preiskampf im heimischen China bewusst ins Risiko: „Viele Konkurrenten werden vom Markt verschwinden, einige starke Player mit finanziell langem Atem überleben“, erwartet Diess.


Bereits zu seiner Zeit bei VW, als Vorstandsmitglied ab 2015, habe es dort intensive Diskussionen über ein E-Auto für 20.000 Euro gegeben. Volkswagens Stadtflitzer E-Up, inzwischen eingestellt, war erheblich teurer. Kleine Autos bauen und damit dennoch vergleichsweise große Margen erwirtschaften – in dieser Disziplin, sagt Diess, halte er seit jeher den japanischen Anbieter Suzuki für führend. Dann möchte der einstige VW-Lenker am Volant des Dolphin Surf erleben, wie sich der Kleinwagen von BYD aus China fährt.



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Einstiger VW-Lenker am BYD-Volant - Herbert Diess bei der electricar-Testfahrt im neuen Kleinwagen Dolphin Surf.



Gefühl für Schwingungen


Unser Testwagen bietet nicht bloß besagte Active-Grundausstattung, sondern bringt als Comfort-Version zum Einführungspreis von 24.990 Euro zusätzlich unter anderem eine 360-Grad-Kamera und getönte Scheiben hinten mit. Zudem ist das Fahrzeug mit seiner Leistung von 115 Kilowatt, umgerechnet 156 PS, deutlich stärker motorisiert als das Einstiegsmodell mit 65 Kilowatt (88 PS). Fronttriebler sind sie beide: Er spüre „gewisse Vibrationen im Lenkrad und aus dem Bodenblech“, gibt Diess bei der Probefahrt zu Protokoll.


Zur Wahrheit gehört jedoch, dass er mit electricar auf den kurvigen Hügelpisten Kantabriens im BYD meist überaus flott unterwegs ist. Darauf angesprochen, hebt Diess, der in München lebt, mit einem Lächeln hervor: „Ich habe keine Punkte in Flensburg“. Das mag umso erstaunlicher scheinen, als der überzeugte E-Mobilist Diess gelegentlich auch seinen Ferrari 458 bewegt und mit dem Caterham Seven einen anderen kernigen Verbrenner „gerade erst wieder zugelassen“ hat.


Strom vom Cupra-Charger


Bei der Spritztour im Stromer Dolphin Surf kommt er mehrmals auf Volkswagens ID.-Baureihe zu sprechen, deren Start mit dem Kompaktwagen ID.3 in seine Amtszeit als Konzern-CEO fiel: „Das Auto ist auch formal rundum gelungen“, sagt der Ex-VW-Chef: „Da haben der damalige Chefdesigner Klaus Zyciora und seine Teams ganze Arbeit geleistet.“ Und nur zu gern, fügt Diess hinzu, würde er sich einen elektrisch angetriebenen Kleinbus des Typs ID. Buzz anschaffen. Dieser VW passe zu Hause in Bayerns Landeshauptstadt „nur leider nicht in meine Tiefgarage“.


An seinem nordspanischen Privatdomizil unweit des Pico Velasco hat Diess eine Wallbox der VW- und Seat-Submarke Cupra installieren lassen. Und dort zieht BYDs Dolphin Surf zwischendurch problemlos Strom. Seine sogenannte Blade-Batterie hat eine Kapazität von 43,2 kWh, die nach WLTP eine Reichweite von 310 Kilometern ermöglichen soll. Zum Vergleich: Der Akku des Basismodells Active kommt auf 30 kWh, die für 220 Kilometer reichen sollen. VWs ID. Every1 dürfte mit seinen Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LFP) mindestens 250 Kilometer schaffen.


„LFP-Batterien sind im Kommen“, sagt Herbert Diess bei der electricar-Ausfahrt, „E-Autos unter vier Metern Länge wie dieser Dolphin Surf und der ID. Every1 von Volkswagen auch“. Gewiss, die Neuzulassungen im A-Segment haben etwa in Deutschland seit vielen Jahren nahezu stetig abgenommen. Dies geht jedoch vor allem darauf zurück, dass Kleinwagen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren nur zu horrenden Kosten für schärfere Abgaswerte hätten homologiert werden können – und viele Hersteller die Minis daher aus der Modellpalette strichen.



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Fossiles Erbstück - Herbert Diess auf dem Dieseltraktor, den ihm seine Oma vermacht hat.



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Die eigenen Birnen lässt der frühere VW-Chef zum gehaltvollen Obstbrand Mil Perales veredeln.



Britische Lademeister


Eine Renaissance könnte es mit rein elektrischen Antrieben geben. Und über smart entwickelte Mobilitätsangebote. „In Großbritannien arbeiten BYD und der Energieversorger Octopus bei Vehicle-to-Grid wegweisend zusammen“, nennt Diess ein Beispiel. Das V2G-Paket namens Power Pack Bundle umfasst einen BYD Dolphin im Leasing, ein bidirektionales Ladegerät sowie spezielle Stromtarife.


Der zentrale Clou dieser Kombination: Zu Spitzenzeiten, wenn Elektrizität knapp ist und somit teuer, speisen die mit dem Ladegerät verbundenen BYD ihre Energie ins öffentliche Netz zurück. Gibt es hingegen günstigen Strom, etwa über Nacht, lassen die Leasingnehmer ihre Fahrzeuge besonders billig wieder auffüllen – im Idealfall über das Jahr gerechnet und unter dem Strich sogar gratis. Willkommener Nebeneffekt des V2G-Konzepts: Um die Energieversorgung sicherzustellen, müssen konventionelle Gas- oder Kohlekraftwerke entsprechend seltener aushelfen.


„Beim E-Auto werden oft kleinere Probleme diskutiert, aber selten sein großer Wert als Teil von übergeordneten Lösungen“, sagt Diess. „Tesla hatte Letzteres sofort verstanden, BYD auch“. Neuer Schwung für die Elektromobilität, so Diess’ Botschaft, als er den Testwagen auf einer Anhöhe parkt, um den Ausblick über das Tal zu genießen, kann rund um die Welt aus integrativen Ansätzen erwachsen.


Bullen, Birnen, Ballabende


Eine moderne Idee der nachhaltigen Integration hat Diess in Kantabrien selbst realisiert: „Silvopasture“ nennt sich jenes „agroforstwirtschaftliche System, das Bäume, Futterpflanzen und Weidetiere auf derselben Fläche kombiniert“. Im Internet heißt es dazu weiter: „Es ist eine Form der Landbewirtschaftung, bei der Bäume gezielt in ein Weidesystem integriert werden, um eine gegenseitig vorteilhafte Umgebung für Holzproduktion, Viehhaltung und Futtererzeugung zu schaffen“.


Mit seiner achtzigbeinigen Herde von Angusrindern verfolgt Diess in Angustina – die Namensähnlichkeit ist Zufall – just dieses nachhaltige Konzept. Auch in seiner benachbarten Birnenbaumplantage achtet der frühere Konzernchef streng auf ökologische Aspekte: Ein Spritzen der Rote-Williams-Früchte gegen Schädlinge ist ebenso tabu wie chemischer Dünger.


Doch auch ökonomisch ist Diess auf der Höhe der Zeit: Aus seinen Birnen lässt er eine gehaltvolle Spirituose destillieren, die unter dem Handelsnamen Mil Perales international hohes Renommee genießt. „Der (...) Rote Williams Brand wurde bei der Falstaff Spirits Trophy 2024 mit 92/100 Punkten prämiert“, so wirbt ein renommierter Schnapsversand.


Investitionen in Photovoltaik


Den BYD benotet der Ex-Chef von VW abschließend nicht auf einer solchen Skala. Vielmehr zählt er konkrete Pro- und Contra-Argumente auf. Was ihm nicht gefällt am Dolphin Surf, ist etwa, dass „der für ein kleines Auto beim Rangieren zu viele Lenkradumdrehungen braucht“. Andererseits lobt Diess beispielsweise „Sitze, die weitaus besser sind als bei den meisten E-Mobilen aus China in dieser Klasse“.


Dann parkt er den Probe-Pkw aus dem Reich der Mitte vor seinem Pico Velasco, wo Sternekoch Nacho Solana regelmäßig Gaumenfreuden kreiert, und schaut dort nach dem Fortgang der Arbeiten. In dem beliebten Event-Hotel für Managementseminare und private Gesellschaften steht am Wochenende eine große Hochzeitsfeier an. Handwerker wuseln umher. Für diesen Sommer plant Diess die Installation von Solarmodulen auf den Dächern von Veranstaltungshalle, Ställen und Scheunen.


Kein Zweifel: Elektrische Energie war sein Antrieb während der Zeit im Volkswagen-Konzern – und quasi unter Strom steht Herbert Diess noch immer. Jetzt allerdings als ambitionierter Luxushotelier, Rinderbaron und Birnenzüchter.



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Exklusive Leseproben - In seinem Hotel Pico Velasco empfängt Diess Autorin Beatrice Bohlig, die ihn mit den neuen Ausgaben von electricar versorgt.



Comeback des VW-Käfers


Welches E-Fahrzeug er von Volkswagen gern in Serie sehen würde, fragt ihn electricar zum Abschied. „In meiner VW-Zeit habe ich den Beetle eingestellt“, so leitet Diess seine Antwort ein: „Als Verbrenner war nach dem Coupé eines Tages auch die Cabrio-Version schlicht nicht mehr ausreichend gefragt.“


Dann fügt er hinzu: „Das Bewusstsein für die eigene Herkunft, die Identität ist von essentieller Bedeutung für Automobilhersteller. Mein Ex-VW-Kollege Luca de Meo hatte da später als Renault-Chef mit seinen Leuten beim R5 E-Tech einen guten Job gemacht“. Schließlich sinniert Herbert Diess: „Ein rein elektrisch motorisierter Beetle-Nachfolger könnte gute Marktchancen haben“. Der ID. Käfer, im Lackton Wolfsburg-Winterweiß vielleicht.

 
 
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