Von schnell und konsequent bis abwartend und voll flexibel:
Die Strategien der traditionellen Automobilhersteller auf dem Weg in die Mobilität von morgen unterscheiden sich gravierend.
Die Kehrtwende schlechthin sollte es werden: Nach gut 130 Jahren mit diversen Verbrennungsmotoren müsse der Automobilbau sich jetzt bitte ganz schnell dahin entwickeln, wo er 1888 eigentlich begonnen hat: Elektroantrieb voraus! Mag es Diesel und Benziner auch den Zylinderkopf kosten – die Politik hat für die Europäische Union ab 2035 den Antrieb ohne Emissionen beschlossen. Kernbotschaft: Die E-Mobilität löst alle Probleme.
Doch in der Realität funktioniert das Fahren per Hochspannung nicht so einfach, wie die Regierenden es gerne hätten. Schon gar nicht, wenn die Alternative nur wenig verlockend klingt. Zu hochpreisig die Fahrzeuge, zu teuer der Strom, zu gering die Reichweiten, zu undurchsichtig das Tarifdickicht – so hat es sich in den Köpfen auch der Deutschen festgesetzt.
Kunden verunsichert
In einigen Punkten ist das kollektive Zögern nachzuvollziehen. Selbstverständlich hat es etwas von Zukunft und Verantwortung, mit Stromes Stärke über Land zu düsen. Flott und geräuschlos. Das zumindest halbwegs gute Gewissen stets mit an Bord. Und während der Pause an der Säule füllt sich in der Zeit eines gepflegten Käffchens die Batterie – wie im Werbespot. Aber auch nur da klappt das bislang. In der Realität indes wird das Akkuauto für unter 20.000 Euro Jahr für Jahr aufs Neue versprochen, das Ladenetz auf dem flachen Land ist mit grobmaschig nicht böswillig beschrieben. Und wer allabendlich die Kabeltrommel aus dem dritten Stockwerk des Mietshauses abrollen soll, um die Stromzufuhr zu arrangieren, dem ist so leicht kein E-Mobil schmackhaft zu machen.
Begünstigt wird dieser Frust durch politische Fehler. Der in Berlin ausdrücklich gewollte Aufschlag aus Steuern, Abgaben, Netzentgelten und Umlagen auf den Strompreis etwa. Mit der Folge, dass Elektrizität nur in den Niederlanden, Liechtenstein, Belgien und Rumänien noch teurer ist als in Deutschland. Die verheerendste Kurzschlussreaktion indes leistete sich die Ampelregierung, als sie kurz vor Ende des vergangenen Jahres über Nacht der E-Auto-Förderung den Stecker zog. Zurückgeblieben sind verunsicherte bis zornige Bürger, die im besseren Fall nur abwarten, im schlechteren wieder mit einem Verbrenner liebäugeln.
Wirtschaftliche Zwänge
Daimler, VW und Co. stürzt das erneut ins Dilemma. Erst musste die Weltspitze des klassischen Kolbenmotors damit klarkommen, dass sie in Sachen E-Auto nur unter „ferner fuhren“ rangieren, während rund um den Globus neben Tesla vor allem Wagen chinesischer Provenienz dominieren. Und nun, da die deutschen Hersteller endlich hochgeschaltet haben, soll der gewaltige, vor allem aber teure Kraftakt vergebens gewesen sein. Experte Ferdinand Dudenhöffer kommentiert die Lage nüchtern: „Den Autobauern bleibt nur die Wahl, in einen Rabattwettbewerb einzusteigen oder die Elektroautos einzumotten.“
Und in der Tat häufen sich die schlechten Nachrichten. Der Absatz von Porsches Starkstromer Taycan bricht ein, Audi erwägt wegen des mauen E-Geschäfts die Schließung seines Werkes in Brüssel, Mercedes-Benz stoppt eine neue Plattform für elektrische Luxuslimousinen und Ford gibt die Pläne für ein batteriebetriebenes SUV mit drei Sitzreihen auf. Geschätzter Verlust für den US-Autoriesen: bis zu 1,7 Milliarden Euro. Selbst bei Tesla laufen die Geschäfte alles andere als rund.
Angebote verifiziert
Prompt gerät in der Politik das Verbrennerverbot wieder ins Wanken. Brüssel diskutiert mehr oder weniger offen über einen Rückzieher. Auch weil Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) beinern auf E-Fuels und Wasserstoff beharrt – wohl wissend, dass beides für den Einsatz in Pkw auf absehbare Zeit weder ausreichend noch zu vertretbaren Kosten produziert werden kann.
Kein Wunder also, dass die einstigen Eide auf das E-Auto und die schnelle Transformation auch bei den Herstellern nach und nach umgedeutet werden. Die Branche murmelt stattdessen von flexiblen Angeboten, weil sich die Regionen weltweit unterschiedlich schnell entwickelten. Heißt übersetzt: Der fossile Vortrieb bleibt mindestens Plan B.
Neue Strategien
Als eines der ersten Schwergewichte tritt Mercedes-Boss Ola Källenius mit Verweis auf „hochmoderne, elektrifizierte Verbrenner“ die ursprüngliche Strategie in die Tonne, wonach die Elektroautos schon bald die Hälfte des Konzernabsatzes ausmachen sollten. Man werde sich stattdessen an der Nachfrage der Kunden orientieren, lautet die neue Sprachregelung.
Auch beim VW-Konzern, wo die Entscheidung für das E-Auto spät, dafür umso rückhaltloser fiel, setzt man sich von einstigen Visionen ab. Es werde mehr Plug-in-Hybride brauchen, um den schwächelnden Absatz auszugleichen, heißt es. Rund 60 Milliarden Euro sollen aufgeboten werden, „um Verbrenner-Autos wettbewerbsfähig zu halten“, sagt Finanzchef Arno Antlitz.
Strategen der deutschen Autobauer
Der kollektive Kurswechsel hin zu den elektrisch angetriebenen Fahrzeugen scheint allseits klar vereinbart. Doch die Spitzenkräfte der traditionsreichen Automobilhersteller definieren die Wege in die Mobilität der Zukunft individuell. Weil sich die E-Autos noch schleppend verkaufen, setzen die Autobosse derzeit auf flexible Plattformen für alle Antriebstechnologien.
Plattformen für alle Optionen
Ford zieht ebenfalls Konsequenzen aus der Tatsache, dass die Stromer Quartal für Quartal hohe Verluste einfahren, während Diesel und Benziner gutes Geld verdienen. Die Ausgaben für Elektromodelle werden von zuvor 40 Prozent des jährlichen Budgets auf 30 Prozent gekappt. Stattdessen soll eine „Multienergie-Plattform“ kommen, auf der sich Verbrenner-, Hybrid- und E-Antriebe bauen lassen.
Auch der Stellantis-Konzern fährt mehrgleisig und bietet ursprünglich als E-Modelle konzipierte Baureihen wie die Pkw-Varianten seiner Großraum-Kombis wieder mit traditionellen Motoren an. Den eigentlich als reines Elektroauto geplanten Jeep Avenger gibt es inzwischen sogar ohne jede Elektrifizierung. Die einzelnen Hersteller bei Stellantis halten jedoch an ihren klar definierten Fristen bezüglich der Transformation fest. Opel wird beispielsweise ab 2028 nur noch Stromer auf den Markt bringen. Peugeot plant, ab 2030 ausschließlich rein elektrisch getriebene Fahrzeuge zu produzieren.
Ziel: Null-Emission-Modelle
BMW – mit dem i3 einst Elektropionier und dann lange Zeit abgetaucht – beharrt trotz vieler Stromer im Portfolio und vergleichsweise positiven Umsatzzahlen in diesem Segment auf einem technologieoffenen Ansatz. Hyundais Nobeltochter Genesis hat das Ziel aufgegeben, ab dem kommenden Jahr nur noch batteriegetriebene Modelle zu bauen. Der Markt und die Kunden wollten jetzt mehr Hybride als Elektrofahrzeuge, so die Einschätzung des südkoreanischen Produzenten. Und auch Skoda-Chef Klaus Zellmer möchte über das Jahr 2035 hinaus am Verbrenner festhalten – offiziell allerdings nur für Märkte außerhalb der EU.
Toyota stand dem reinen Elektroauto immer schon etwas reserviert gegenüber. Dort, wo es die Infrastruktur erlaubt, plant der Gigant aus Japan bereits früher als 2035 ausschließlich Zero Emission Vehicles anbieten, heißt es. Parallel dazu wird konsequenterweise zusammen mit Mazda und Subaru eine neue Generation von Motoren für elektrifizierte Antriebsstränge entwickelt. Renault setzt ebenfalls auf eine Doppelstrategie. Reine Elektroautos auf eigener Plattform – aber eben auch massenhaft Hybridfahrzeuge.
Schlüsselmarkt China
In ihrer Not drängen Hersteller auf verlässliche Vorgaben. Die Autoindustrie könne keineswegs Milliarden in eine langfristige Strategie investieren und dann alle paar Jahre auf neue politische Wendungen reagieren, so der allgemeine Tenor. Beim ersten Gegenwind grundlegende Entscheidungen wie den Verbrennerausstieg wieder infrage zu stellen, werde die deutsche Autoindustrie im weltweiten Wettbewerb ins Hintertreffen bringen.
Speziell in Fernost lassen sich schließlich gute Geschäfte künftig augenscheinlich nur noch mit Elektromodellen machen. Der Verkauf von Verbrennern ist besonders in China massiv abgesackt. In diesem Juli wurden dort erstmals mehr E-Autos und Plug-in-Hybride als Diesel und Benziner ausgeliefert. Diesen Trend werden auch Strafzölle nur unwesentlich beeinflussen. Es geht viel mehr darum, die richtigen Schlüsse aus der globalen Transformation zu ziehen.
Tesla: Auf und ab in Grünheide
Gigantisch in jeder Hinsicht: Seit zwei Jahren produziert der amerikanische E-Autopionier in der brandenburgischen 9.000-Einwohner-Gemeinde einen Teil seiner Fahrzeuge. Laut Tesla ist die Gigafactory Grünheide die modernste, nachhaltigste und effizienteste Fabrik des Unternehmens. „Ja, absolut“, sagte Tesla-Boss Elon Musk, als er im März dieses Jahres während eines Besuchs in Grünheide gefragt worden war, ob ein Ausbau der Gigafactory geplant sei: „Ich glaube, das ist ein toller Ort.“ Doch im Wald nahe der Fabrik regt sich der Widerstand. In rund 20 Baumhäusern protestieren seit etwa einem halben Jahr Aktivisten gegen die Werkserweiterung. Tesla verhandelt indes mit dem Land Brandenburg über den Kauf des Grundstücks. Auf der zusätzlichen Fläche sollen ein Güterbahnhof, Logistik- und Lagerflächen gebaut werden.