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  • AutorenbildHarald Gutzelnig

Ein Jahr E-Auto: Erfahrungsbericht des Herausgebers von ELECTRICAR

Wieso sollte man ein Jahr nach der Anschaffung eines E-Autos einen Erfahrungsbericht schreiben – und wieso sollte ihn jemand lesen? Diese Frage lässt sich rasch beantworten. Weil das Fahren eines E-Autos in vielen Bereichen anders funktioniert als bei einem Verbrenner. Weil das Fahrgefühl sich vom Diesel oder Benziner so deutlich unterscheidet, dass dieses Feeling durchaus beschreibenswert und für alle potenziellen Umsteiger auch lesenswert ist. Also lehnen Sie sich zurück und lesen Sie, was Sie erwartet, wenn Sie vom Verbrenner auf ein E-Auto umsteigen.



Vor zwei Jahren war ein E-Auto noch eine Rarität. Inzwischen kennt jeder jemand, der einen Stromer fährt und war wahrscheinlich auch schon mal Passagier. Insofern weiß so mancher bereits, wie sich Elektrisch im Auto anfühlt. Ein Jahr im E-Auto ist aber etwas anderes, da hat man neben den vielen positiven Effekten auch einige negative kennengelernt – und sich ein recht gutes Bild vom Stromern machen können.


Die Anschaffung


Ich kaufte meinen Tesla Model 3 im Juni 2021 – online versteht sich, man geht ja mit der Zeit. Klar, ich hatte bereits einige Probefahrten hinter mir, mein Sohn hatte sechs Monate zuvor das gleiche Modell gekauft. Und vor dem Kauf standen neben den Probefahrten mit dem Tesla noch viele weitere, etwa mit einem Polestar, einem Skoda Enyaq, einem Mustang Mach E und einem Jaguar i-Pace. Die Wahl fiel schließlich auf den Ami-Schlitten, die No-gos bei den anderen Modellen lagen etwa im zu hohen Preis, einer zu geringen Reichweite oder in einer unerträglich langen Lieferzeit.


Eines vorweg: Ich habe diese Entscheidung noch nicht bereut. Einzig dem Skoda Enyaq trauere ich ein wenig nach, er hätte mir sehr gut gefallen, aber Lieferfristen, die jenen in der ehemaligen DDR nahekommen, sind schlicht nicht zu tolerieren. Also habe ich Teslas Online-Formular für den käuflichen Erwerb eines Model 3 ausgefüllt und gewartet. Zuvor hatte ich mich selbstverständlich bei Tesla Austria erkundigt, wie lange die Lieferzeit ist und staunte nicht schlecht, als ich erfuhr, dass der Wagen ein Monat nach Auftragserteilung vor der Haustür stehen würde.


Okay, „vor der Haustür stehen“ ist übertrieben, einen Zustellservice gibt es bei Tesla für Otto Normalkäufer leider nicht. Ich musste vielmehr die rund 170 Kilometer lange Reise nach Wien antreten, um den US-Stromer abzuholen.

Die Einschulung war zugegebenermaßen sehr kurz. Zwei DIN A4-Blätter mit den wichtigsten Informationen und zehn Minuten Zeit für deren Studium sind vielleicht für junge und technikaffine Autokäufer akzeptabel, für mich war es gerade noch ausreichend, für viele ältere weniger technikbegeisterte Fahrer dürfte es wohl zu wenig sein.


Aber die Freude über den neuen Wagen überwog die Zweifel an der Bedienbarkeit, lediglich die Tatsache, dass der Stromer nicht voll aufgeladen war, sondern nur 260 Kilometer Reichweite anzeigte, trübte die Stimmung ein wenig, wusste ich doch von den Medien und von den Erfahrungsberichten meines Sohnes, dass damit die 170 Kilometer nach Hause bestenfalls gerade noch zu schaffen waren. Ich könne ja gerne zwischendurch aufladen, ließ man mich bei Tesla auf die überschaubare aktuelle Reichweite angesprochen, wissen.

Nun ist es aber so, dass ich in meinem Leben bislang zwar hunderte Male mein Auto betankt habe, aber eben mit herkömmlichem Kraftstoff wie Benzin und Diesel, nie hingegen mit Strom. Und ob der großen Anzahl an Anschlüssen, war schnell der Entschluss gefasst, die Heimfahrt ohne Aufladen zu riskieren. Entsprechend langsam ging ich es an, auch aufgrund der Tatsache, dass ich nicht wusste, wie verlässliche die Restenergie-Anzeige ist. Das war definitiv der erste Lernprozess. Die letzten Kilometer „kroch“ ich auf der Autobahn mit rund 100 km/h heimwärts, aber ich schaffte es.


Zuhause wurde das E-Auto stolz den restlichen Familienmitgliedern präsentiert und natürlich aufgeladen, eine Wallbox hatte ich zuvor in der Garage montieren lassen. Und so war das Aufladen ein Kinderspiel, Ladeverschluss öffnen, Ladekabel anschließen, fertig. Nach rund acht Stunden war der Tesla vollgeladen, 570 Kilometer Reichweite das stolze Ergebnis. Erst nach Wochen erfuhr ich, dass ein Vollladen der Batterie nicht zuträglich ist – seither ist bei 85% bzw. rund 500 Kilometer Schluss.



Die ersten Eindrücke


Jetzt, ein Jahr später, weiß ich noch viel mehr über E-Autos und wie man sich beim Fahren derselben verhalten sollte. Ich weiß aber auch, dass ich keinesfalls mehr wieder zurücksteigen werde auf einen Verbrenner. Für mich überwiegen die positiven Effekte deutlich.


Der erste bleibende Eindruck, den man beim Fahren eines Stromers hat – und speziell beim Tesla Model 3 – ist die ungeheure Beschleunigung. In 4,4 Sekunden von 0 auf 100. Es ist tatsächlich so: Die Garantie, einem unwissenden Beifahrer einen am Armaturenbrett liegenden 100 Euro-Schein zu versprechen, wenn er ihn während der Beschleunigung auf 100 km/h mit der Hand erreicht, kann man getrost abgeben. Es ist nicht zu schaffen. Geschafft habe ich es allerdings mehrmals, dass den Beifahrern schlecht wurde. Aber einen Katapultstart legt man ohnehin nicht oft hin, dennoch: Hin und wieder ist man schon dazu verleitet, die enorme Beschleunigung den anderen Straßenteilnehmern vorzuführen. Und es macht in manchen Situationen ja auch durchaus Sinn, etwa beim Einbiegen in eine Vorrangstraße. Oder wenn einem überholten Verkehrsteilnehmer das Gefühl beschleichen soll, er wäre mit Standgas unterwegs.


Gleiten und hetzen


Der größte Unterschied zum Fahren mit einem Verbrenner ist neben dem verzögerungsfreien Beschleunigen das Gefühl des Gleitens. Das wird verstärkt durch das bremsfreie Fahren. In der Tat habe ich das Bremspedal in den ersten Wochen genaugenommen gar nicht benötigt. Und mein Sohn hatte überhaupt erst nach drei Monaten Fahren mit dem Model 3 festgestellt, dass dessen Bremse defekt war. Ein Umstand, der eigentlich fahrlässig ist, bei einem Stromer aber zum Glück nicht gleich die schlimmsten Folgen hat. Die Rekuperation, also das Zurückgewinnen von Strom aus Bremsenergie macht es möglich. Es gibt keine Kurve, in der ich seither jemals gebremst hätte. Und es gibt auch kaum eine Kurve, die ich nicht schneller gefahren bin, als die 40 Jahre davor - ganz einfach, weil jedes E-Auto quasi auf der Straße klebt.


In Summe stellt sich ein Fahrgefühl ein, das nicht mit jenem eines Verbrenners zu vergleichen ist. Gleiten trifft es schon recht gut, wenngleich mit einem Tesla Model 3 ein manchmal holpriges Gleiten. Zu straff ist das Fahrwerk, was ab und an nicht nur die Bandscheiben des Fahrers ächzen lässt, sondern auch das Material im Innenraum.


Es stellt sich auch ein nicht gänzlich erklärbares Sicherheitsgefühl ein. Man hat zu keiner Zeit das Gefühl, die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren zu können, und dies nicht nur wegen der Assistenzsysteme, sondern vor allem wegen der hervorragenden Straßenlage. Wenn wir schon die Assistenzsysteme ansprechen, so muss man hier beim Tesla Abstriche machen. Der Autopilot ist noch nicht ausgereift. Der Abstandshalter lässt den Wagen selbst in der maximalen Distanz noch so knapp auffahren, dass man immer wieder instinktiv zwischen Gas- und Bremspedal wechselt – obwohl es nicht nötig wäre. Okay, seit dem letzten Update hat sich das gebessert. Und wenn dann mal der Vordermann abbremst, dann sollte man vorbereitet sein. Abbremsen kann auch der Tesla, nur eben sehr abrupt. Aber das sind Peanuts.


Reduzierte Eingabe: Im Tesla wird fast alles über das mittig platzierte Touch-Display geregelt.

Die Angst vor der Reichweite


Keine Nüsse sind die Probleme, die man mit einer falsch eingeschätzten Reichweite bekommen kann. So ergangen meiner Frau, die prinzipiell lieber in einem Verbrenner sitzt, bei dem man auch hört, dass da unterm Hintern was arbeitet.


Der Fehler, den Sie machte: Sie überließ die Planung einer längeren Fahrt nicht der Navigationssoftware, sondern plante sie manuell. Mit dem Nachteil, dass einerseits vor dem geplanten Ladestopp die Batterie nicht aufbereitet wurde und dass sie selbst entscheiden musste, wie viel Reichweite für die restliche Fahrt genügen müsste. Und so kam es eben, dass sie die letzten Kilometer vor dem Ziel mehr kriechend als fahrend unterwegs war und zu Hause schlussendlich noch 3 Kilometer Reichweite angezeigt wurden. Keine Ahnung, ob Tesla hier eine Reserve eingeplant hat, ich möchte es nicht testen müssen. Abgesehen von diesem Vorfall gab es aber nie Probleme mit dem Aufladen, auch bei längeren Fahrten nicht: 20 Minuten Laden bei einem Supercharger und man kommt wieder 200 bis 250 Kilometer weiter.


Kurz zum Thema Sicherheit noch eine Anmerkung. Ich bin noch nie beim Fahren eingenickt, doch nach sechs Monaten Fahren mit dem E-Auto ist es passiert. Sekundenschlaf, vielleicht auch weil ich mich unterbewusst auf das Sicherheitssystem verlassen hatte. Aber es ging glimpflich aus, der Spur- und Abstandshalter holte mich zum Glück verlässlich aus dem Dämmerzustand zurück.


Fazit


Das Resümee des ersten Jahres mit einem E-Auto ist überwiegend positiv. Das Fahrgefühl des CO2-freien Gleitens möchte man ebenso wenig missen, wie das lautlose Anfahren. Und natürlich spürt man den Energieverbrauch auch in der Geldbörse, auch wenn die Strompreise in den letzten Monaten stark gestiegen sind, aber da haben die Benzinpreise ja mitgezogen. Man spart rund die Hälfte der Energiekosten im Vergleich mit einem äquivalenten Verbrenner. Positiv auch, dass man nie das Gefühl hat, die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren zu können.


Als Mangel habe ich es empfunden, dass – zumindest beim Tesla - fast alles über ein einziges Display zu steuern ist, etwa die Intervalle der Scheibenwischer und einige Anzeigen nur in den Untiefen des Systemmenüs zu finden sind. Das lenkt die Aufmerksamkeit unnötig von der Straße weg. Und auch für weitsichtige Fahrer hat Elon Musk offenbar wenig Verständnis. Mir gelingt es zum Beispiel nicht, im Darkmode die Uhrzeit abzulesen. Eine Personalisierung der Anzeige und mehr Dreh- oder Kippschalter für einige Grundfunktionen stehen auf meiner Wunschliste daher ziemlich weit oben. Zum Schluss verrate ich Ihnen noch mein neues Autofahrer-Motto: Gleitend hetzen.



Technische Daten

​Hersteller

Tesla

Modell

Model 3 (Max. Reichweite)

Antriebsart

Elektro

Leistung

340 kW

Maße / Gewicht

4690 x 1850 x 1440 mm / 1830 kg

Antriebsachse

Allrad

Anzahl der Türen

5

Kofferraumvolumen

649 l

Reichweite

602 km

0-100 km/h

4,4 Sekunden

Spitze

261 km/h

Preis

58.690 Euro


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