Das chinesische Unternehmen BYD ist ein Industriegigant mit großen globalen Ambitionen im Automobilbereich.
Hier eine interessante Frage für ein Quiz: Wer war 2022 der weltweit größte Hersteller von Elektroautos? Was glauben Sie? Tesla ist wohl der offensichtlichste Kandidat. Vielleicht aber auch die Volkswagen-Gruppe oder Stellantis? Mitnichten. Aber wie sollten Sie es auch wissen, Sie haben sich schließlich nur auf eine Seite des Planeten konzentriert.
BYD, oder Build Your Dreams, ist ein chinesischer Hersteller mit Sitz in Shenzhen. Er produziert eine Vielzahl von Produkten, darunter Batterien, Solarpanels, Gabelstapler, Züge, Busse und Autos, und hat erst vor kurzem den europäischen Automarkt entdeckt.
Im letzten Jahr haben die Chinesen 1,85 Millionen E-Autos produziert. BYD ist also kein kleines Unternehmen. Es wurde 1995 hauptsächlich als Batteriehersteller gegründet, während der Automobilbereich - BYD Auto Co Ltd – erst 2003 auf den Markt gebracht wurde. Ende 2022 produzierte BYD jeden fünften Smartphone-Akku weltweit, war der zweitgrößte Hersteller von Hochspannungsfahrzeugbatterien, hatte 28.000 Patente registriert und beschäftigte 600.000 Mitarbeiter weltweit auf sechs Kontinenten, in 70 Ländern und 400 Städten.
Das sind beeindruckende Zahlen und auch 1,85 Millionen Einheiten klingt unglaublich viel. Tatsächlich schließt die Zahl die Plug-in-Hybride mit ein. Insgesamt wurden im Vorjahr 911.141 BEV-Verkäufe und 946.238 PHEV-Verkäufe verbucht. Tesla dominiert mit 1,3 Millionen Einheiten (2022) weltweit weiterhin den Verkauf reiner Elektroautos, aber das könnte sich 2023 ändern, selbst wenn BYD noch nicht in Nordamerika (dem zweitgrößten Automarkt nach China) präsent ist. Noch nicht, jedenfalls...
Tausendsassa
Und wer liefert die Batterien für das Tesla Model Y in der Grünheide-Fabrik in Deutschland? Richtig: BYD. Wenn es um Teile und Batterieherstellung geht, dann reden wir von der Kernkompetenz von BYD. Das kann man auch daran festmachen, dass sich fast jeder Teil der Fahrzeuge im eigenen Haus produzieren lässt. Halbleiter, Kabelbäume, Innenausstattung, Touchscreens, Elektromotoren, Verbrennungsmotoren, Batteriepacks und vieles mehr: Alles wird von BYD in einer der sechs in China ansässigen Produktionsstätten hergestellt - und es ist noch eine weitere Batteriefabrik in China geplant. Beim Atto 3 beispielsweise werden lediglich das Glas und die Reifen von externen Zulieferern bezogen.
Wieso ist BYD so erfolgreich?
Wir wissen also, dass BYD groß ist. Groß in der Herstellung und jetzt auch größer als Tesla auf globaler Ebene, wenn es nur um Pkw geht. All das macht BYDs Anonymität auf einem europäischen Markt, der sich an vertraute und lang etablierte Marken gewöhnt hat, noch beunruhigender.
Wer ist also BYD? Was sind die Alleinstellungsmerkmale seiner Autos? Und wie wird es sich in die Kaufgewohnheiten der Europäer einfügen?
Das Unternehmen ist sich sicher, dass seine Batterietechnologie einen großen Anreiz bildet. „Die Blade-Batterie von BYD hat ultra-sichere Eigenschaften, die sie von herkömmlicher Batterietechnologie abheben und BYD einen bedeutenden USP im EV-Sektor geben“, sagt Mike Belinfante, ein leitender Manager bei BYD Europe. „Die Batterien haben den Nageldurchdringungstest, einen der strengsten Sicherheitstests in der Branche, bestanden. Das beweist, dass sie niemals spontan entflammen werden. Darüber hinaus ist die Blade-Batterie von BYD kobaltfrei.“
Zudem bringt BYD seine Autos mit umfangreicher Ausstattung auf den Markt, die serienmäßige Wärmepumpen in all seinen Modellen einschließlich des Atto 3 Crossover, der Seal Limousine und des Dolphin Kompakt Hatchback beinhaltet. Interessanterweise hat BYD aber in Europa nicht durch aggressives Unterbieten auf sich aufmerksam gemacht. Eines der Unternehmensmantras lautet „machbar, aber Premium“, und man zielt sehr stark auf Kia und Hyundai als Hauptkonkurrenten ab.
BYD hat nicht vor, sich als Value-Marke zu positionieren, wie es MG mit offensichtlichem Erfolg in Europa und speziell in Großbritannien getan hat. Das könnte sich mit dem kommenden Dolphin ändern, der eine erschwingliche Option sein und preislich wahrscheinlich unter 30.000 Euro liegen wird. Vor allem, wenn das Modell mit einer kleineren Batterie auf den Markt kommt - möglicherweise mit der neuen Natrium-Ionen-Batterietechnologie, die BYD auf der Shanghai Motor Show im Dolphin vorgestellt hat. Aber die Kernpalette der Modelle wird ähnlich teuer und ähnlich ausgerichtet sein wie ihre koreanischen Alternativen.
BYD produziert größer
Bemerkenswert ist auch, dass BYD, wie seine koreanischen Rivalen, die Gewohnheit hat, seine Autos etwas größer als jene der anderen Hersteller zu machen. Daher ist der Atto 3 19 cm länger als ein Volkswagen ID 3, aber ähnlich groß wie der Kia Niro EV. Der Seal ist 10 cm länger als ein Tesla Model 3, aber fast identisch in der Größe mit dem Hyundai Ioniq 6. Der Dolphin ist tatsächlich eher ein Familien Hatchback als ein Super-Mini, mit einer Länge von 4,29 m – 24 cm mehr als der Peugeot e-208, gegen den er preislich antritt. Das ist typisch für BYDs Vorhaben, zwei oder mehr konventionelle Klassen zu überspannen - etwas, das für das Unternehmen mit seiner skalierbaren e-Plattform 3.0 einfach und erschwinglich ist.
Es ist offensichtlich, dass BYD sich bei seinen europäischen Modellen nicht für eine einheitliche Design-Sprache oder sogar Namensstrategie entschieden hat. Sowohl der Han (als Konkurrent des Audi A7) als auch der Tang (als Konkurrent des Volvo XC90) sind bereits in vielen europäischen Märkten beliebt und sehen innen und außen eher konventionell aus, ähnlich wie Audi - was nicht unbedingt eine Überraschung ist, da das Design-Team von BYD unter der Leitung von Wolfgang Egger steht, der zuvor bei Audi und Alfa Romeo tätig war. Beide Modelle sind übrigens nach chinesischen Dynastien benannt.
Der Atto 3 (übersetzt „ein Quintillionstel“) wirkt unauffällig und ähnelt äußerlich einer Reihe anderer Stromer. Allerdings hat er ein sehr auffälliges von einem Fitnessstudio inspiriertes Interieur, das nicht jedem westlichen Geschmack entspricht.
Der Seal und der Dolphin gehören zur Ocean-Serie des Unternehmens und verfolgen wiederum unterschiedliche Designansätze. Der Seal erinnert an einen Mini-Taycan, während der Dolphin schärfer und markanter ist als der Atto 3, jedoch möglicherweise unvorteilhaft an Daihatsu und andere vergangene Budget-Marken erinnert, die den europäischen Markt nicht überlebt haben.
Die scheinbar zufällige Namens- und Styling-Strategie wirft Fragen auf. Ein hochrangiger Vertreter des Unternehmens erklärte, dass sie „Spaß haben und Freude vermitteln“ möchten. Dennoch ist es schwer zu glauben, dass dabei wirtschaftliche Überlegungen und die einfache Verfügbarkeit keine große Rolle spielen. BYD treibt seine Expansion in Europa immerhin mit beeindruckender Geschwindigkeit voran, indem es leicht modifizierte Modelle aus dem chinesischen Markt einführt, anstatt speziell auf den europäischen Markt zugeschnittene Fahrzeuge zu entwickeln. Die Anpassung jedes Modells an die unterschiedlichen Geschmäcker und Trends des chinesischen und westlichen Marktes wäre äußerst kostspielig und angesichts der raschen Veränderungen von Vorlieben und Trends in Europa wahrscheinlich auch unnötig.
Kein Spaziergang in Europa
Das erklärt auch, warum einige BYD-Autos in dieser frühen Phase möglicherweise nicht den europäischen Geschmack treffen. Vom Schriftzug „Build Your Dreams“ auf dem Kofferraumdeckel bis hin zur Tatsache, dass man einen „Dolphin“ fahren muss, gibt es eine gewisse Unbeholfenheit, mit der sich einige europäische Käufer zu diesem Zeitpunkt möglicherweise schwertun. Darüber hinaus spielt auch die politische Unsicherheit eine Rolle, die viele Verbraucher empfinden, wenn es darum geht, ihr Geld „nach China zu schicken“.
Das Markenimage und die Marktpositionierung von BYD in Kontinentaleuropa wird sich erst mit der Zeit und Vertrautheit festigen. Sicher ist, dass wir uns nicht mehr fragen müssen, ob BYD zu einem bedeutenden Akteur auf dem europäischen Automarkt aufsteigen wird. Die Frage lautet nur noch: ‚Wann?‘
Was kommt als nächstes
BYD hält sich sehr bedeckt, was seine zukünftigen Pläne betrifft, aber es ist offensichtlich, dass es keine Grenzen für seine Ambitionen gibt.
Wir können eine Fülle von Modellen in Europa erwarten, wie etwa den Seal und den Dolphin. Auf der IAA in München wird es ebenfalls Neuigkeiten geben, und obwohl keine Details bekannt sind, könnte der A-Segment BYD Seagull sein europäisches Debüt geben.
Das Unternehmen hat kürzlich seine neue Marke Yangwang in China eingeführt, zu der der U8 Elektro-SUV gehört, der mit einer Ladung fast 1.000 Kilometer zurücklegen kann und etwas mehr als 150.000 Euro kostet. Der U9 Elektro-Supersportwagen wurde ebenfalls kürzlich in Shanghai vorgestellt. Es ist noch nicht entschieden, ob diese Premium-Autos nach Europa kommen werden, aber eine vertrauenswürdige Quelle im Unternehmen lässt uns wissen: „Wir planen, in jedem Marktsegment präsent zu sein. Obwohl wir den Zeitplan nicht bestätigen können, besteht kein Zweifel, dass BYD in den nächsten Jahren ein Auto in jeder Klasse haben wird.“
Und was ist mit Nordamerika? „Nun, wir haben gerade erst begonnen, Europa in Angriff zu nehmen. Aber ja, auch das ist geplant“, lässt ein BYD-Manager verlauten.
Das Wort „nein“ ist im Wortschatz von BYD offenbar nicht enthalten.
//Text: Vicky Parrott//
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