Urbaner Verkehr im Wandel: Nachhaltige Mobilität zwischen Einfachheit und Hightech
- Wolfgang Plank
- vor 13 Stunden
- 5 Min. Lesezeit
Das klingt wie ein Besuch im Paradies: Man steigt irgendwo aus Zug oder Flieger, drückt auf sein Smartphone – und wie von Geisterhand rollt einem am Ausgang ein frisch geladenes E-Mobil vor die Füße. Wohin des Wegs weiß der schlaue Wagen aus unserem Online-Terminkalender, die ideale Route findet er dank Verkehrsfunk und über Car-to-Car-Botschaften aus der Cloud. Am Ziel angekommen, parkt sich der fahrerlose Diener unauffällig weg. Abrufbereit für den nächsten Einsatz.

So in etwa geht es in der idealen Welt zu. Jedenfalls in der, die interessierte Unternehmen zeichnen – für die nicht allzu ferne Zukunft. Es gibt keine Staus mehr, keine Abgase, keine Wartezeiten. Allwissende Rechner takten uns mit maximaler Effizienz in optimierte Verkehrsströme hinein und wieder heraus. Sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Und wir? Können rund um die Uhr E-Mails lesen, Börsenkurse checken oder videocallen. Vor allem aber brauchen wir uns um kein Auto mehr zu kümmern, keinen Parkplatz, keinen Spritpreis, keine Versicherung, keinen Kundendienst, keine Hauptuntersuchung. Mobilität ist einfach da, auch kassiert wird digital.
Die Visionäre machen Tempo. Der aktuell als oberster Umweltschädling geführte Autofahrer sei eine vom Aussterben bedrohte
Art, heißt es gerne auch in Instituten, die sich vorrangig mit morgen und übermorgen beschäftigen. Einen eigenen und selbstverständlich rein elektrischen Wagen fahre schon bald nur noch, wer wohlhabend sei oder umstandshalber auf dem Land lebe. Der Rest werde buchen statt besitzen.
Car-Sharing in der City
In den Szenarien der Verkehrsfuturisten verschmelzen Busse, Bahnen, Taxis, Leihräder, Mietwagen und E-Scooter zu einem virtuellen Fuhrpark, in dem man per Smartphone den perfekt passenden Mobilitätsmix bucht. Wunschziel eingeben, schon wird eine maßgeschneiderte Route inklusive der günstigsten Verkehrsmittel geliefert. Oder der bequemsten. Oder der schnellsten. Wer überhaupt noch selbst ins Lenkrad greift, tut dies allenfalls per Car-Sharing in der City.

Das mag älteren Zeitgenossen ungewöhnlich erscheinen, weil es Jahrzehnte lang etwas wert war, ein eigenes Auto zu haben. Auch wenn man es selten brauchte und oft genug nur einen Kompromiss in der Garage hatte. Weil meist ein Kleinwagen genügt hätte, es ab und an auch mal ein Sportwagen hätte sein sollen, man aber dann eben doch lieber den Kombi wählte – für die fünf Mal im Jahr, wo etwas zu transportieren war. Doch der Tag scheint nicht mehr fern, an dem Verzicht die bessere Lösung sein soll.
In der Tat wirkt derzeit, zumindest in großen Städten, nur wenig so deplatziert wie das eigene Fahrzeug. Weil es in den Augen der Kritiker selbst als E-Auto 23 Stunden am Tag ein Stehzeug ist, wertvollen Platz vergeudet und den Menschen das Gefühl gibt, sie seien bloß noch zu Gast. In der Mobilitätsstrategie der Stadt München für 2035 sollen genau aus diesem Grund Straßen künftig nicht mehr nur dem Verkehr dienen, sondern als „wichtige Lebensräume“ gelten. Vorfahrt für das Auto war gestern.

Generell favorisieren Verkehrsforscher Städte als „Umschlagpunkte“, zwischen denen Züge oder S-Bahnen pendeln. Alle anderen Verbindungen sowie die „erste und letzte Meile“ sollen kleine, autonome Verkehrsmittel abdecken. Rund um die Uhr und ohne große Wartezeit. Kollateralnutzen der fahrerlosen Vision: keine Löhne, kein Urlaub, keine Kranktage, kein Streik. Kein Wunder also, dass die Studie „Urbane Mobilität und autonomes Fahren im Jahr 2035“ des Strategieberaters Deloitte selbstfahrende Taxis und Shuttles als potenzielle Hauptverkehrsmittel des 21. Jahrhunderts einstuft.
Robotaxis und Roboshuttles
Ein Drittel aller Befragten kann sich für diese Art Zukunft erwärmen. Deloitte rechnet vor, dass ein Kilometer mit dem Robotaxi 34 Cent kostet, mit dem Roboshuttle lediglich 15. Ein Robotaxi sei damit acht Mal günstiger als ein normales Taxi heute und liege immer noch 25 Prozent unter dem Kilometerpreis eines privaten Mittelklassewagens. Das
Roboshuttle wiederum koste deutlich weniger als die Fahrt mit den Öffis.

Allerdings brauchen auch Robotaxis Ladepunkte – und da stehen die Städte vor einem Dilemma. Soll die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus Vorrang haben oder die Grundversorgung im gesamten Gebiet? Meist konzentrieren sich Ladestationen citynah, konstatiert eine Studie der Beratungsgesellschaft PWC. Daher sei eine strategische Steuerung unerlässlich. Problem: Im Durchschnitt gibt es pro 300.000 Einwohner gerade eine Vollzeitstelle, die sich überhaupt mit dem Thema Ladeinfrastruktur beschäftigt. Mehr noch als der Personalmangel indes bremst, wenig überraschend, die Bürokratie. 44 Prozent aller befragten Städte und Stadtwerke nennen „Regulatorik“ als größte Hürden für den Ausbau ihrer Ladenetze. Egal, ob über Induktionsschleifen, Laternen oder Bordsteine: Immer stehen Bauordnung, Wegerecht, Eichvorschriften und was sonst noch im Weg.
Nicht erfüllen werden sich übrigens Erwartungen, autonome Flotten würden zu weniger Staus und besserem Verkehrsfluss führen. Zwar werde die Anzahl der angemeldeten Fahrzeuge um etwa drei Millionen sinken, heißt es in der Studie, durch die hohe Auslastung steige jedoch die Verkehrsbelastung in Stoßzeiten um bis zu 36 Prozent – auch weil für zeitnahen Transport Leerfahrten notwendig werden.

Im privaten Bereich hingegen sehen die Experten wenig Potenzial für autonomes Fahren. Selbstverständlich ist es hilfreich, wenn ein schlauer Algorithmus auf die Bremse tritt, noch bevor wir überhaupt erschrocken sind. Andererseits: So zahlreich wie gedacht, wollen die Deutschen das Steuer nicht aus der Hand geben. Sie trauen dem Frieden hinterm Lenkrad nicht so recht, vor allem wollen sie nicht so tief in die Tasche greifen, wie die Hersteller einst träumten. Da wird es auch nicht helfen, dass Zulieferer Bosch und die VW-Softwaretochter Cariad ihre Zusammenarbeit vertiefen und für Fahren der Level 2 und 3 die künstliche Intelligenz zum Maßstab machen wollen.
Warum noch ein bestimmtes Auto?
Zumal gerade Lenker hochpreisiger Autos meist im besten Sinne altmodisch sind und gerne selbst ins Volant greifen. Schließlich zählen die Emotionen zu den wichtigsten Kaufgründen. Und genau da liegt gerade für Premiumanbieter das Risiko. Wenn das Auto von morgen vollautomatisch rollt: Warum sollte man sich noch für ein bestimmtes Modell entscheiden? Wer fährt wie im Taxi, dem reicht eine Art Taxi. Motor, Getriebe oder Fahrwerk sind dann keine Kriterien mehr. Nicht mal mehr das schicke Cockpit. Wozu Markentreue, wenn es nur mehr Freude am Sitzen gäbe und keine mehr am Fahren?

Womöglich überdauert das eigene Auto also doch sämtliche Visionen. Da muss man gar nicht Corona bemühen, wo in Bus und Bahn der Atem jedes Mitreisenden der Hauch des Todes hätte sein können. Ein Kasten Mineralwasser oder ein Regal aus dem Baumarkt reichen, schon mag sich keiner mehr für Fahrrad oder E-Scooter erwärmen. Auch Unwetter wüten hin und wieder die halbe Republik in den Ausnahmezustand – erst recht beim öffentlichen Nahverkehr. Was dann in der Regel noch fährt, sind ganz normale, angeblich so altmodische und überflüssige Autos.
Da fühlt man sich irgendwie an Regisseur Alfred Hitchcock erinnert. Im Horrorklassiker „Die Vögel“ gelingt die Flucht aus tödlicher Gefahr – richtig: in einem Auto. Nicht auszudenken, hätte Anwalt Mitch Brenner alias Rod Taylor keinen Aston Martin DB2/4 gehabt, sondern eine Carsharing-App …